Grimms Märchen

Grimm’s Märchen, ursprünglich von Jacob und Wilhelm Grimm zusammengestellt, sind eine Sammlung zeitloser Volkserzählungen, die Leser seit Jahrhunderten verzaubern. Diese Geschichten sind ein Schatz an Folklore, der Geschichten von Mut, Magie und Moral bietet, die über Generationen hinweg Resonanz finden. Von Klassikern wie „Aschenputtel“, „Schneewittchen“ und „Hänsel und Gretel“ bis hin zu weniger bekannten Juwelen wie „Der Fischer und seine Frau“ und „Rumpelstilzchen“ bietet jede Geschichte einen Einblick in das reiche Gewebe der europäischen mündlichen Tradition. Die Märchen der Grimms zeichnen sich durch ihre lebhaften Charaktere, moralischen Lehren und oft dunklen Untertöne aus, die die harten Realitäten und fantastischen Elemente ihrer historischen Kontexte widerspiegeln. Ihre anhaltende Anziehungskraft liegt in ihrer Fähigkeit, zu unterhalten, zu lehren und Staunen zu inspirieren, was sie zu einem Grundpfeiler der Kinderliteratur und einer Quelle der Faszination für Folkloristen und Geschichtenerzähler gleichermaßen macht.

Listen on:

  • Podbean App

Episodes

Das Bürle

Monday Aug 12, 2024

Monday Aug 12, 2024

Es war ein Dorf, darin saßen lauter reiche Bauern und nur ein armer, den nannten sie das Bürle (Bäuerlein). Er hatte nicht einmal eine Kuh und noch weniger Geld, eine zu kaufen und er und seine Frau hätten so gern eine gehabt. Einmal sprach er zu ihr: "Hör, ich habe einen guten Gedanken, da ist unser Gevatter Schreiner, der soll uns ein Kalb aus Holz machen und braun anstreichen, daß es wie ein anderes aussieht, mit der Zeit wirds wohl groß und gibt eine Kuh." Der Frau gefiel das auch, und der Gevatter Schreiner zimmerte und hobelte das Kalb zurecht, strich es an, wie sichs gehörte, und machte es so, daß es den Kopf herabsenkte, als fräße es.
Wie die Kühe des andern Morgens ausgetrieben wurden, rief das Bürle den Hirt herein und sprach: "Seht, da hab ich ein Kälbchen, aber es ist noch klein und muß noch getragen werden." Der Hirt sagte: "Schon gut," nahms in seinen Arm, trugs hinaus auf die Weide und stellte es ins Gras. Das Kälblein blieb da immer stehen wie eins, das frißt, und der Hirt sprach: "Das wird bald selber laufen, guck einer, was es schon frißt!" Abends, als er die Herde wieder heimtreiben wollte, sprach er zu dem Kalb: "Kannst du da stehen und dich satt fressen, so kannst du auch auf deinen vier Beinen gehen, ich mag dich nicht wieder auf dem Arm heimschleppen." Das Bürle stand aber vor der Haustüre und wartete auf sein Kälbchen. Als nun der Kuhhirt durchs Dorf trieb und das Kälbchen fehlte, fragte er danach. Der Hirt antwortete: "Das steht noch immer draußen und frißt, es wollte nicht aufhören und nicht mitgehen." Bürle aber sprach: "Ei was, ich muß mein Vieh wiederhaben." Da gingen sie zusammen nach der Wiese zurück, aber einer hatte das Kalb gestohlen, und es war fort. Sprach der Hirt: "Es wird sich wohl verlaufen haben." Das Bürle aber sagte: "Mir nicht so!" und führte den Hirten vor den Schultheiß, der verdammte ihn für seine Nachlässigkeit, daß er dem Bürle für das entkommene Kalb mußte eine Kuh geben.
Nun hatte das Bürle und seine Frau die lang gewünschte Kuh; sie freuten sich von Herzen, hatten aber kein Futter, und konnten ihr nichts zu fressen geben, also mußte sie bald geschlachtet werden. Das Fleisch salzten sie ein, und das Bürle ging in die Stadt und wollte das Fell dort verkaufen, um für den Erlös ein neues Kälbchen zu bestellen. Unterwegs kam er an eine Mühle, da saß ein Rabe mit gebrochenen Flügeln, den nahm er aus Erbarmen auf und wickelte ihn in das Fell. Weil aber das Wetter so schlecht ward, und Wind und Regen stürmte, konnte er nicht weiter, kehrte in die Mühle ein und bat um Herberge. Die Müllerin war allein zu Haus und sprach zu dem Bürle: "Da leg dich auf die Streu," und gab ihm ein Käsebrot. Das Bürle aß und legte sich nieder, sein Fell neben sich, und die Frau dachte: "Der ist müde und schläft." Indem kam der Pfaff, die Frau Müllerin empfing ihn wohl und sprach: "Mein Mann ist aus, da wollen wir uns traktieren." Bürle horchte auf, und wies von traktieren hörte, ärgerte es sich, daß es mit Käsebrot hätte vorlieb nehmen müssen. Da trug die Frau herbei und trug viererlei auf, Braten, Salat, Kuchen und Wein.
Wie sie sich nun setzten und essen wollten, klopfte es draußen. Sprach die Frau: "Ach Gott, das ist mein Mann!" Geschwind versteckte sie den Braten in die Ofenkachel, den Wein unters Kopfkissen, den Salat aufs Bett, den Kuchen unters Bett und den Pfaff in den Schrank auf dem Hausehrn. Danach machte sie dem Mann auf und sprach: "Gottlob, daß du wieder hier bist! Das ist ein Wetter, als wenn die Welt untergehen sollte!" Der Müller sahs Bürle auf dem Streu liegen und fragte: "Was will der Kerl da?" "Ach," sagte die Frau, "der arme Schelm kam in dem Sturm und Regen und bat um ein Obdach, da hab ich ihm ein Käsebrot gegeben und ihm die Streu angewiesen." Sprach der Mann: "Ich habe nichts dagegen, aber schaff mir bald etwas zu essen." Die Frau sagte: "Ich habe aber nichts als Käsebrot." "Ich bin mit allem zufrieden," antwortete der Mann, "meinetwegen mit Käsebrot," sah das Bürle an und rief: "komm und iß noch einmal mit." Bürle ließ sich das nicht zweimal sagen, stand auf und aß mit. Danach sah der Müller das Fell auf der Erde liegen, in dem der Rabe steckte, und fragte: "Was hast du da?" Antwortete das Bürle: "Da hab ich einen Wahrsager drin." "Kann der mir auch wahrsagen?" sprach der Müller.
"Warum nicht?" antwortete das Bürle, "er sagt aber nur vier Dinge, und das fünfte behält er bei sich." Der Müller war neugierig und sprach: "Laß ihn einmal wahrsagen." Da drückte Bürle dem Raben auf den Kopf, daß er quakte und "krr krr" machte. Sprach der Müller: "Was hat er gesagt?" Bürle antwortete: "Erstens hat er gesagt, es steckte Wein unterm Kopfkissen." "Das wäre des Kuckucks!" rief der Müller, ging hin und fand den Wein. "Nun weiter," sprach der Müller. Das Bürle ließ den Raben wieder quaksen und sprach: "Zweitens, hat er gesagt, wäre Braten in der Ofenkachel." "Das wäre des Kuckucks!" rief der Müller, ging hin und fand den Braten. Bürle ließ den Raben noch mehr weissagen und sprach: "Drittens, hat er gesagt, wäre Salat auf dem Bett." "Das wäre des Kuckucks!" rief der Müller, ging hin und fand den Salat. Endlich drückte das Bürle den Raben noch einmal, daß er knurrte, und sprach: "Viertens, hat er gesagt, wäre Kuchen unterm Bett." "Das wäre des Kuckucks!" rief der Müller, ging hin und fand den Kuchen.
Nun setzten sich die zwei zusammen an den Tisch, die Müllerin aber kriegte Todesängste, legte sich ins Bett und nahm alle Schlüssel zu sich. Der Müller hätte auch gern das fünfte gewußt, aber Bürle sprach: "Erst wollen wir die vier andern Dinge ruhig essen, denn das fünfte ist etwas Schlimmes." So aßen sie, und danach ward gehandelt, wieviel der Müller für die fünfte Wahrsagung geben sollte, bis sie um dreihundert Taler einig wurden. Da drückte das Bürle dem Raben noch einmal an den Kopf, daß er laut quakte. Fragte der Müller: "Was hat er gesagt?" Antwortete das Bürle: "Er hat gesagt, draußen im Schrank auf dem Hausehrn, da steckte der Teufel." Sprach der Müller: "Der Teufel muß hinaus," und sperrte die Haustür auf, die Frau aber mußte den Schlüssel hergeben, und Bürle schloß den Schrank auf. Da lief der Pfaff, was er konnte, hinaus, und der Müller sprach: "Ich habe den schwarzen Kerl mit meinen Augen gesehen: es war richtig." Bürle aber machte sich am andern Morgen in der Dämmerung mit den dreihundert Talern aus dem Staub.
Daheim tat sich das Bürle allgemach auf, baute ein hübsches Haus, und die Bauern sprachen: "Das Bürle ist gewiß gewesen, wo der goldene Schnee fällt und man das Geld mit Scheffeln heim trägt." Da ward Bürle vor den Schultheiß gefordert, es sollte sagen, woher sein Reichtum käme. Antwortete es: "Ich habe mein Kuhfell in der Stadt für dreihundert Taler verkauft." Als die Bauern das hörten, wollten sie auch den großen Vorteil genießen, liefen heim, schlugen all ihre Kühe tot und zogen die Felle ab, um sie in der Stadt mit dem großen Gewinn zu verkaufen. Der Schultheiß sprach: "Meine Magd muß aber vorangehen." Als diese zum Kaufmann in die Stadt kam, gab er ihr nicht mehr als drei Taler für ein Fell; und als die übrigen kamen, gab er ihnen nicht einmal soviel und sprach: "Was soll ich mit all den Häuten anfangen?'
Nun ärgerten sich die Bauern, daß sie vom Bürle hinters Licht geführt waren, wollten Rache an ihm nehmen und verklagten es wegen des Betrugs bei dem Schultheiß. Das unschuldige Bürle ward einstimmig zum Tod verurteilt, und sollte in einem durchlöcherten Faß ins Wasser gerollt werden. Bürle ward hinausgeführt und ein Geistlicher gebracht, der ihm eine Seelenmesse lesen sollte. Die andern mußten sich alle entfernen, und wie das Bürle den Geistlichen anblickte, so erkannte es den Pfaffen, der bei der Frau Müllerin gewesen war. Sprach es zu ihm: "Ich hab Euch aus dem Schrank befreit, befreit mich aus dem Faß." Nun trieb gerade der Schäfer mit einer Herde Schafe daher, von dem das Bürle wußte, daß er längst gerne Schultheiß geworden wäre, da schrie es aus allen Kräften: "Nein, ich tus nicht! Und wenns die ganze Welt haben wollte, nein, ich tus nicht!" Der Schäfer, der das hörte, kam herbei und fragte: "Was hast du vor? Was willst du nicht tun?" Bürle sprach: "Da wollen sie mich zum Schultheiß machen, wenn ich mich in das F aß setze, aber ich tus nicht." Der Schäfer sagte: "Wenns weiter nichts ist, um Schultheiß zu werden, wollte ich mich gleich in das Faß setzen." Bürle sprach: "Willst du dich hineinsetzen, so wirst du auch Schultheiß." Der Schäfer wars zufrieden, setzte sich hinein, und das Bürle schlug den Deckel drauf; dann nahm es die Herde des Schäfers für sich und trieb sie fort. Der Pfaff aber ging zur Gemeinde und sagte, die Seelenmesse wäre gelesen. Da kamen sie und rollten das Faß nach dem Wasser hin. Als das Faß zu rollen anfing, rief der Schäfer: "Ich will ja gerne Schultheiß werden." Sie glaubten nicht anders, als das Bürle schrie so, und sprachen: "Das meinen wir auch, aber erst sollst du dich da unten umsehen," und rollten das Faß ins Wasser hinein.
Darauf gingen die Bauern heim, und wie sie ins Dorf kamen, so kam auch das Bürle daher, trieb eine Herde Schafe ruhig ein und war ganz zufrieden. Da erstaunten die Bauern und sprachen: "Bürle, wo kommst du her? Kommst du aus dem Wasser?" "Freilich," antwortete das Bürle, "ich bin versunken tief, tief, bis ich endlich auf den Grund kam: ich stieß dem Faß den Boden aus und kroch hervor, da waren schöne Wiesen, auf denen viele Lämmer weideten, davon bracht ich mir die Herde mit." Sprachen die Bauern "sind noch mehr da?" "O ja," sagte das Bürle, "mehr, als ihr brauchen könnt." Da verabredeten sich die Bauern, daß sie sich auch Schafe holen wollten, jeder eine Herde; der Schultheiß aber sagte: "Ich komme zuerst." Nun gingen sie zusammen zum Wasser, da standen gerade am blauen Himmel kleine Flockwolken, die man Lämmerchen nennt, die spiegelten sich im Wasser ab, da riefen die Bauern: "Wir sehen schon die Schafe unten auf dem Grund." Der Schulz drängte sich hervor und sagte: "Nun will ich zuerst hinunter und mich umsehen; wenns gut ist, will ich euch rufen." Da sprang er hinein, "plump" klang es im Wasser. Sie meinten nicht anders, als er riefe ihnen zu "kommt!" und der ganze Haufe stürzte in einer Hast hinter ihm drein. Da war das Dorf ausgestorben, und Bürle als der einzige Erbe ward ein reicher Mann.
Diese Folge wird Ihnen von Podbean.com zur Verfügung gestellt.

Die zwei Brüder

Monday Aug 12, 2024

Monday Aug 12, 2024

Es waren einmal zwei Brüder, ein reicher und ein armer. Der reiche war ein Goldschmied und bös von Herzen; der arme nährte sich davon, daß er Besen band, und war gut und redlich. Der arme hatte zwei Kinder, das waren Zwillingsbrüder und sich so ähnlich wie ein Tropfen Wasser dem andern. Die zwei Knaben gingen in des Reichen Haus ab und zu und erhielten von dem Abfall manchmal etwas zu essen. Es trug sich zu, daß der arme Mann, als er in den Wald ging, Reisig zu holen, einen Vogel sah, der ganz golden war und so schön, wie ihm noch niemals einer vor Augen gekommen war. Da hob er ein Steinchen auf, warf nach ihm und traf ihn auch glücklich; es fiel aber nur eine goldene Feder herab, und der Vogel flog fort. Der Mann nahm die Feder und brachte sie seinem Bruder, der sah sie an und sprach "Es ist eitel Gold," und gab ihm viel Geld dafür. Am andern Tag stieg der Mann auf einen Birkenbaum und wollte ein paar Äste abhauen. Da flog derselbe Vogel heraus, und als der Mann nachsuchte, fand er ein Nest, und ein Ei lag darin das war von Gold. Er nahm das Ei mit heim und brachte es seinem Bruder, der sprach wiederum: "Es ist eitel Gold" und gab ihm, was es wert war. Zuletzt sagte der Goldschmied: "Den Vogel selber möcht' ich wohl haben." Der Arme ging zum drittenmal in den Wald und sah den Goldvogel wieder auf dem Baum sitzen. Da nahm er einen Stein und warf ihn herunter und brachte ihn seinem Bruder, der gab ihm einen großen Haufen Gold dafür. Nun kann ich mir forthelfen, dachte er und ging zufrieden nach Haus.
Der Goldschmied war klug und listig und wußte wohl, was das für ein Vogel war. Er rief seine Frau und sprach: "Brat mir den Goldvogel und sorge, daß nichts davon wegkommt, ich habe Lust, ihn ganz allein zu essen." Der Vogel war aber kein gewöhnlicher, sondern so wunderbarer Art, daß wer Herz und Leber von ihm aß, jeden Morgen ein Goldstück unter seinem Kopfkissen fand. Die Frau machte den Vogel zurecht, steckte ihn an einen Spieß und ließ ihn braten. Nun geschah es, daß während er am Feuer stand und die Frau anderer Arbeit wegen notwendig aus der Küche gehen mußte, die zwei Kinder des armen Besenbinders hereinliefen, sich vor den Spieß stellten und ihn ein paarmal herumdrehten. Und als da gerade zwei Stücklein aus dem Vogel in die Pfanne herabfielen, sprach der eine: "Die paar Bißchen wollen wir essen, ich bin so hungrig, es wird's ja niemand daran merken." Da aßen sie beide die Stückchen auf; die Frau kam aber dazu, sah, daß sie etwas aßen, und sprach: "Was habt ihr gegessen?" - "Ein paar Stückchen, die aus dem Vogel herausgefallen sind," antworteten sie. "Das ist Herz und Leber gewesen, sprach die Frau ganz erschrocken, und damit ihr Mann nichts vermißte und nicht böse ward, schlachtete sie geschwind ein Hähnchen, nahm Herz und Leber heraus und legte es zu dem Goldvogel. Als er gar war, trug sie ihn dem Goldschmied auf, der ihn ganz allein verzehrte und nichts übrigließ Am andern Morgen aber, als er unter sein Kopfkissen griff und dachte das Goldstück hervorzuholen, war so wenig wie sonst eins zu finden.
Die beiden Kinder aber wußten nicht, was ihnen für ein Glück zuteil geworden war. Am andern Morgen, wie sie aufgestanden, fiel etwas auf die Erde und klingelte, und als sie es aufhoben, da waren's zwei Goldstücke. Sie brachten sie ihrem Vater, der wunderte sich und sprach: "Wie sollte das zugegangen sein? Als sie aber am andern Morgen wieder zwei fanden, und so jeden Tag, da ging er zu seinem Bruder und erzählte ihm die seltsame Geschichte. Der Goldschmied merkte gleich, wie es gekommen war und daß die Kinder Herz und Leber von dem Goldvogel gegessen hatten, und um sich zu rächen und weil er neidisch und hartherzig war, sprach er zu dem Vater: "Deine Kinder sind mit dem Bösen im Spiel, nimm das Gold nicht und dulde sie nicht länger in deinem Haus, denn er hat Macht über sie und kann dich selbst noch ins Verderben bringen!" Der Vater fürchtete den Bösen, und so schwer es ihm ankam, führte er doch die Zwillinge hinaus in den Wald und verließ sie da mit traurigem Herzen.
Nun liefen die zwei Kinder im Wald umher und suchten den Weg nach Haus, konnten ihn aber nicht finden, sondern verirrten sich immer weiter. Endlich begegneten sie einem Jäger, der fragte: "Wem gehört ihr, Kinder?" - "Wir sind des armen Besenbinders Jungen," antworteten sie und erzählten ihm, daß ihr Vater sie nicht länger im Hause hätte behalten wollen, weil alle Morgen ein Goldstück unter ihrem Kopfkissen läge. "Nun," sagte der Jäger, "das ist gerade nichts Schlimmes, wenn ihr nur rechtschaffen dabei bleibt und euch nicht auf die faule Haut legt." Der gute Mann, weil ihm die Kinder gefielen und er selbst keine hatte, so nahm er sie mit nach Haus und sprach: "Ich will euer Vater sein und euch großziehen." Sie lernten da bei ihm die Jägerei, und das Goldstück, das ein jeder beim Aufstehen fand, das hob er ihnen auf, wenn sie's in Zukunft nötig hätten.
Als sie herangewachsen waren, nahm sie ihr Pflegevater eines Tages mit in den Wald und sprach: "Heute sollt ihr euren Probeschuß tun, damit ich euch freisprechen und zu Jägern machen kann." Sie gingen mit ihm auf den Anstand und warteten lange, aber es kam kein Wild. Der Jäger sah über sich und sah eine Kette von Schneegänsen in der Gestalt eines Dreiecks fliegen, da sagte er zu dem einen: "Nun schieß von jeder Ecke eine herab." Der tat's und vollbrachte damit seinen Probeschuß. Bald darauf kam noch eine Kette angeflogen und hatte die Gestalt der Ziffer Zwei; da hieß der Jäger den andern gleichfalls von jeder Ecke eine herunterholen, und dem gelang sein Probeschuß auch. Nun sagte der Pflegevater: "Ich spreche euch frei, ihr seid ausgelernte Jäger!" Darauf gingen die zwei Brüder zusammen in den Wald, ratschlagten miteinander und verabredeten etwas. Und als sie abends sich zum Essen niedergesetzt hatten, sagten sie zu ihrem Pflegevater: "Wir rühren die Speise nicht an und nehmen keinen Bissen, bevor Ihr uns eine Bitte gewährt habt." Sprach er: "Was ist denn eure Bitte?" Sie antworteten: "Wir haben nun ausgelernt, wir müssen uns auch in der Welt versuchen, so erlaubt, daß wir fortziehen und wandern." Da sprach der Alte mit Freuden: "Ihr redet wie brave Jäger, was ihr begehrt, ist mein eigener Wunsch gewesen; zieht aus, es wird euch wohl ergehen." Darauf aßen und tranken sie fröhlich zusammen.
Als der bestimmte Tag kam, schenkte der Pflegevater jedem eine gute Büchse und einen Hund und ließ jeden von seinen gesparten Goldstücken nehmen, soviel er wollte. Darauf begleitete er sie ein Stück Wegs, und beim Abschied gab er ihnen noch ein blankes Messer und sprach: "Wann ihr euch einmal trennt, so stoßt dies Messer am Scheideweg in einen Baum, daran kann einer, wenn er zurückkommt, sehen, wie es seinem abwesenden Bruder ergangen ist, denn die Seite, nach welcher dieser ausgezogen ist, rostet, wann er stirbt solange er aber lebt, bleibt sie blank." Die zwei Brüder gingen immer weiter fort und kamen in einen Wald, so groß, daß sie unmöglich in einem Tag herauskonnten. Also blieben sie die Nacht darin und aßen, was sie in die Jägertaschen gesteckt hatten; sie gingen aber auch noch den zweiten Tag und kamen nicht heraus. Da sie nichts zu essen hatten, so sprach der eine: "Wir müssen uns etwas schießen, sonst leiden wir Hunger," lud sein Büchse und sah sich um. Und als ein alter Hase dahergelaufen kam, legte er an, aber der Hase rief:
"Lieber Jäger, laß mich leben,Ich will dir auch zwei Junge geben."
Sprang auch gleich ins Gebüsch und brachte zwei Junge; die Tierlein spielten aber so munter und waren so artig, daß die Jäger es nicht übers Herz bringen konnten, sie zu töten Sie behielten sie also bei sich, und die kleinen Hasen folgten ihnen auf dem Fuße nach. Bald darauf schlich ein Fuchs vorbei, den wollten sie niederschießen, aber der Fuchs rief:
"Lieber Jäger, laß mich leben,Ich will dir auch zwei Junge geben."
Er brachte auch zwei Füchslein, und die Jäger mochten sie auch nicht töten, gaben sie den Hasen zur Gesellschaft, und sie folgten ihnen nach. Nicht lange, so schritt ein Wolf aus dem Dickicht, die Jäger legten auf ihn an, aber der Wolf rief:
"Lieber Jäger, laß mich leben,Ich will dir auch zwei Junge geben."
Die zwei jungen Wölfe taten die Jäger zu den anderen Tieren, und sie folgten ihnen nach. Darauf kam ein Bär, der wollte gern noch länger herumtraben und rief:
"Lieber Jäger, laß mich leben,Ich will dir auch zwei Junge geben."
Die zwei jungen Bären wurden zu den andern gesellt, und waren ihrer schon acht. Endlich, wer kam? Ein Löwe kam und schüttelte seine Mähne. Aber die Jäger ließen sich nicht schrecken und zielten auf ihn; aber der Löwe sprach gleichfalls:
"Lieber Jäger, laß mich leben,Ich will dir auch zwei Junge geben."
Er holte auch seine Jungen herbei, und nun hatten die Jäger zwei Löwen, zwei Bären, zwei Wölfe, zwei Füchse und zwei Hasen, die ihnen nachzogen und dienten. Indessen war ihr Hunger damit nicht gestillt worden, da sprachen sie zu den Füchsen: "Hört, ihr Schleicher, schafft uns etwas zu essen, ihr seid ]a listig und verschlagen." Sie antworteten: "Nicht weit von hier liegt ein Dorf, wo wir schon manches Huhn geholt haben; den Weg dahin wollen wir euch zeigen." Da gingen sie ins Dorf, kauften sich etwas zu essen und ließen ihren Tieren Futter geben und zogen dann weiter. Die Füchse aber wußten guten Bescheid in der Gegend, wo die Hühnerhöfe waren, und konnten die Jäger überall zurechtweisen. Nun zogen sie eine Weile herum, konnten aber keinen Dienst finden, wo sie zusammen geblieben wären, da sprachen sie: "Es geht nicht anders, wir müssen uns trennen." Sie teilten die Tiere, so daß jeder einen Löwen, einen Bären, einen Wolf, einen Fuchs und einen Hasen bekam. Dann nahmen sie Abschied, versprachen sich brüderliche Liebe bis in den Tod und stießen das Messer, das ihnen ihr Pflegevater mitgegeben, in einen Baum; worauf der eine nach Osten, der andere nach Westen zog.
Der Jüngste aber kam mit seinen Tieren in eine Stadt, die war ganz mit schwarzem Flor überzogen. Er ging in ein Wirtshaus und fragte den Wirt, ob er nicht seine Tiere herbergen könnte. Der Wirt gab ihnen einen Stall, wo in der Wand ein Loch war; da kroch der Hase hinaus und holte sich ein Kohlhaupt, und der Fuchs holte sich ein Huhn und, als er das gefressen hatte, auch den Hahn dazu. Der Wolf aber, der Bär und Löwe, weil sie zu groß waren, konnten nicht hinaus. Da ließ sie der Wirt hinbringen, wo eben eine Kuh auf dem Rasen lag, daß sie sich sattfraßen. Und als der Jäger für seine Tiere gesorgt hatte, fragte er erst den Wirt, warum die Stadt so mit Trauerflor ausgehängt wäre. Sprach der Wirt: "Weil morgen unseres Königs einzige Tochter sterben wird." Fragte der Jäger: "Ist sie sterbenskrank?" - "Nein," antwortete der Wirt, "sie ist frisch und gesund, aber sie muß doch sterben." - "Wie geht das zu?" fragte der Jäger. "Draußen vor der Stadt ist ein hoher Berg, darauf wohnt ein Drache, der muß alle Jahre eine reine Jungfrau haben, sonst verwüstet er das ganze Land. Nun sind schon alle Jungfrauen hingegeben, und ist niemand mehr übrig als die Königstochter, dennoch ist keine Gnade, sie muß ihm überliefert werden; und das soll morgen geschehen." Sprach der Jäger: "Warum wird der Drache nicht getötet?" - "Ach," antwortete der Wirt, "so viele Ritter haben's versucht, aber allesamt ihr Leben eingebüßt; der König hat dem, der den Drachen besiegt, seine Tochter zur Frau versprochen, und er soll auch nach seinem Tode das Reich erben."
Der Jäger sagte dazu weiter nichts, aber am andern Morgen nahm er seine Tiere und stieg mit ihnen auf den Drachenberg. Da stand oben eine kleine Kirche, und auf dem Altar standen drei gefüllte Becher, und dabei war die Schrift: Wer die Becher austrinkt, wird der stärkste Mann auf Erden und wird das Schwert führen, das vor der Türschwelle vergraben liegt. Der Jäger trank da nicht, ging hinaus und suchte das Schwert in der Erde, vermochte es aber nicht von der Stelle zu bewegen. Da ging er hin und trank die Becher aus und war nun stark genug, das Schwert aufzunehmen, und seine Hand konnte es ganz leicht führen. Als die Stunde kam, wo die Jungfrau dem Drachen sollte ausgeliefert werden, begleiteten sie der König, der Marschall und die Hofleute hinaus. Sie sah von weitem den Jäger oben auf dem Drachenberg und meinte, der Drache stände da und erwartete sie, und wollte nicht hinaufgehen, endlich aber, weil die ganze Stadt sonst wäre verloren gewesen, mußte sie den schweren Gang tun. Der König und die Hofleute kehrten voll großer Trauer heim, des Königs Marschall aber sollte stehen bleiben und aus der Ferne alles mitansehen.
Als die Königstochter oben auf den Berg kam, stand da nicht der Drache, sondern der junge Jäger, der sprach ihr Trost ein und sagte, er wollte sie retten, führte sie in die Kirche und verschloß sie darin. Gar nicht lange, so kam mit großem Gebraus der siebenköpfige Drache dahergefahren. Als er den Jäger erblickte, verwunderte er sich und sprach: "Was hast du hier auf dem Berge zu schaffen?" Der Jäger antwortete: "Ich will mit dir kämpfen!" Sprach der Drache: "So mancher Rittersmann hat hier sein Leben gelassen, mit dir will ich auch fertig werden," und atmete Feuer aus sieben Rachen. Das Feuer sollte das trockene Gras anzünden, und der Jäger sollte in der Glut und dem Dampf ersticken, aber die Tiere kamen herbeigelaufen und traten das Feuer aus. Da fuhr der Drache gegen den Jäger, aber er schwang sein Schwert, daß es in der Luft sang, und schlug ihm drei Köpfe ab. Da ward der Drache erst recht wütend, erhob sich in die Luft, spie die Feuerflammen über den Jäger aus und wollte sich auf ihn stürzen, aber der Jäger zückte nochmals sein Schwert und hieb ihm wieder drei Köpfe ab. Das Untier ward matt und sank nieder und wollte doch wieder auf den Jäger los, aber er schlug ihm mit der letzten Kraft den Schweif ab, und weil er nicht mehr kämpfen konnte, rief er seine Tiere herbei, die zerrissen es in Stücke. Als der Kampf zu Ende war, schloß der Jäger die Kirche auf und fand die Königstochter auf der Erde liegen, weil ihr die Sinne von Angst und Schrecken während des Streites vergangen waren. Er trug sie heraus, und als sie wieder zu sich kam und die Augen aufschlug, zeigte er ihr den zerrissenen Drachen und sagte ihr, daß sie nun erlöst wäre. Sie freute sich und sprach: "Nun wirst du mein liebster Gemahl werden, denn mein Vater hat mich demjenigen versprochen, der den Drachen tötet." Darauf hing sie ihr Halsband von Korallen ab und verteilte es unter die Tiere, um sie zu belohnen, und der Löwe erhielt das goldene Schlößchen davon. Ihr Taschentuch aber, in dem ihr Name stand, schenkte sie dem Jäger, der ging hin und schnitt aus den sieben Drachenköpfen die Zungen aus, wickelte sie in das Tuch und verwahrte sie wohl Als das geschehen war, weil er von dem Feuer und dem Kampf so matt und müde war, sprach er zur Jungfrau: "wir sind beide so matt und müde, wir vollen ein wenig schlafen." Da sagte sie "ja," und sie ließen sich auf die Erde nieder, und der Jäger sprach zu dem Löwen: "Du sollst wachen, damit uns niemand im Schlaf überfällt!" Und beide schliefen ein. Der Löwe legte sich neben sie, um zu wachen; aber er war vom Kampf auch müde, daß er den Bären rief und sprach "Lege dich neben mich, ich muß ein wenig schlafen, und wenn was kommt, so wecke mich auf!" Da legte sich der Bär neben ihn, aber er war auch müde und rief den Wolf und sprach: "Lege dich neben mich, ich muß ein wenig schlafen, und wenn was kommt, so wecke mich auf!" Da legte sich der Wolf neben ihn, aber auch er war müde und rief den Fuchs und sprach: "Lege dich neben mich, ich muß ein wenig schlafen, und wenn was kommt, so wecke mich auf!" Da legte sich der Fuchs neben ihn, aber auch er war müde und rief den Hasen und sprach: "Lege dich neben mich, ich muß ein wenig schlafen, und wenn was kommt, so wecke mich auf!" Da setzte sich der Hase neben ihn, aber der arme Has war auch müde und hatte niemand, den er zur Wache herbeirufen konnte, und schlief ein. Da schlief nun die Königstochter, der Jäger, der Löwe, der Bär, der Wolf, der Fuchs und der Has, und schliefen alle einen festen Schlaf.
Der Marschall aber, der von weitem hatte zuschauen sollen, als er den Drachen nicht mit der Jungfrau fortfliegen sah und alles auf dem Berg ruhig ward, nahm sich ein Herz und stieg hinauf. Da lag der Drache zerstückt und zerrissen auf der Erde und nicht weit davon die Königstochter und ein Jäger mit seinen Tieren, die waren alle in tiefen Schlaf versunken. Und weil er bös und gottlos war, so nahm er sein Schwert und hieb dem Jäger das Haupt ab und faßte die Jungfrau auf den Arm und trug sie den Berg hinab. Da erwachte sie und erschrak, aber der Marschall sprach: "Du bist in meinen Händen, du sollst sagen, daß ich es gewesen bin, der den Drachen getötet hat.!" - "Das kann ich nicht," antwortete sie, "denn ein Jäger mit seinen Tieren hat es getan." Da zog er sein Schwert und drohte, sie zu töten, wenn sie ihm nicht gehorchte, und zwang sie damit, daß sie es versprach. Darauf brachte er sie vor den König, der sich vor Freuden nicht zu fassen wußte, als er sein liebes Kind wieder lebend erblickte, das er von dem Untier zerrissen glaubte. Der Marschall sprach zu ihm: "Ich habe den Drachen getötet und die Jungfrau und das ganze Reich befreit, darum fordere ich sie zur Gemahlin, so wie es zugesagt ist." Der König fragte die Jungfrau: "Ist das wahr, was er spricht?" - "Ach ja," antwortete sie, "es muß wohl wahr sein, aber ich halte mir aus, daß erst über Jahr und Tag die Hochzeit gefeiert wird," denn se dachte, in der Zeit etwas von ihrem lieben Jäger zu hören. Auf dem Drachenberg aber lagen noch die Tiere neben ihrem toten Herrn und schliefen. Da kam eine große Hummel und setzte sich dem Hasen auf die Nase, aber der Hase wischte sie mit der Pfote ab und schlief weiter. Die Hummel kam zum zweiten Male, aber der Hase wischte sie wieder ab und schlief fort. Da kam sie zum drittenmal und stach ihm in die Nase, daß er aufwachte. Sobald der Hase wach war, weckte er den Fuchs, und der Fuchs den Wolf, und der Wolf den Bär und der Bär den Löwen. Und als der Löwe aufwachte und sah, daß die Jungfrau fort war und sein Herr tot, fing er an fürchterlich zu brüllen und rief: "Wer hat das vollbracht? Bär, warum hast du mich nicht geweckt?" Der Bär fragte den Wolf: "Warum hast du mich nicht geweckt?" Und der Wolf den Fuchs: "Warum hast du mich nicht geweckt?" Und der Fuchs den Hasen: "Warum hast du mich nicht geweckt?" Der arme Has wußte allein nichts zu antworten, und die Schuld blieb auf ihm hängen. Da wollten sie über ihn herfallen, aber er bat und sprach: "Bringt mich nicht um, ich will unsern Herrn wieder lebendig machen. Ich weiß einen Berg, da wächst eine Wurzel, wer die im Mund hat, der wird von aller Krankheit und allen Wunden geheilt. Aber der Berg liegt zweihundert Stunden von hier." Sprach der Löwe "In vierundzwanzig Stunden mußt du hin- und hergelaufen sein und die Wurzel mitbringen." Da sprang der Hase fort, und in vierundzwanzig Stunden war er zurück und brachte die Wurzel mit. Der Löwe setzte dem Jäger den Kopf wieder an, und der Hase steckte ihm die Wurzel in den Mund, alsbald fugte sich alles wieder zusammen, und das Herz schlug und das Leben kehrte zurück. Da erwachte der Jäger und erschrak, als er die Jungfrau nicht mehr sah, und dachte: Sie ist wohl fortgegangen, während ich schlief, um mich loszuwerden. Der Löwe hatte in der großen Eile seinem Herrn den Kopf verkehrt aufgesetzt, der aber merkte es nicht bei seinen traurigen Gedanken an die Königstochter. Erst zu Mittag, als er etwas essen wollte, da sah er, daß ihm der Kopf nach dem Rücken zu stand, konnte es nicht begreifen und fragte die Tiere, was ihm im Schlaf widerfahren wäre? Da erzählte ihm der Löwe, daß sie auch aus Müdigkeit eingeschlafen wären, und beim Erwachen hätten sie ihn tot gefunden mit abgeschlagenem Haupte, der Hase hätte die Lebenswurzel geholt, er aber in der Eil' den Kopf verkehrt gehalten; doch wollte er seinen Fehler wiedergutmachen. Dann riß er dem Jäger den Kopf wieder ab, drehte ihn herum, und der Hase heilte ihn mit der Wurzel fest.
Der Jäger aber war traurig, zog in der Welt herum und ließ seine Tiere vor den Leuten tanzen. Es trug sich zu, daß er gerade nach Verlauf eines Jahres wieder in dieselbe Stadt kam, wo er die Königstochter vom Drachen erlöst hatte, und die Stadt war diesmal ganz mit rotem Scharlach ausgehängt. Da sprach er zum Wirt: "Was will das sagen? Vor'm Jahr war die Stadt mit schwarzem Flor überzogen, was soll heute der rote Scharlach?" Der Wirt antwortete: "Vor'm Jahr sollte unseres Königs Tochter dem Drachen ausgeliefert werden, aber der Marschall hat mit ihm gekämpft und ihn getötet, und da soll morgen ihre Vermählung gefeiert werden; darum war die Stadt damals mit schwarzem Flor zur Trauer und ist heute mit rotem Scharlach zur Freude ausgehängt."
Am andern Tag, wo die Hochzeit sein sollte, sprach der Jäger um die Mittagszeit zum Wirt: "Glaubt Er wohl, Herr Wirt, daß ich heut Brot von des Königs Tisch hier bei Ihm essen will?" - "Ja, sprach der Wirt, "da wollt ich doch noch hundert Goldstücke daransetzen, daß das nicht wahr ist!" Der Jäger nahm die Wette an und setzte einen Beutel mit ebensoviel Goldstücken dagegen. Dann rief er den Hasen und sprach: "Geh hin, lieber Springer, und hol mir von dem Brot, das der König ißt!" Nun war das Häslein das Geringste und konnte es keinem andern wieder auftragen, sondern mußte sich selbst auf die Beine machen. Ei, dachte es, wann ich so allein durch die Straßen springe, da werden die Metzgerhunde hinter mir drein sein. Wie es dachte, so geschah es auch, und die Hunde kamen hinter ihm drein und wollten ihm sein gutes Fell flicken. Es sprang aber, hast du nicht gesehen! und flüchtete sich in ein Schilderhaus, ohne daß es der Soldat gewahr wurde. Da kamen die Hunde und wollten es heraushaben, aber der Soldat verstand keinen Spaß und schlug mit dem Kolben drein, daß sie schreiend und heulend fortliefen. Als der Hase merkte, daß die Luft rein war, sprang er zum Schloß hinein und gerade zur Königstochter, setzte sich unter ihren Stuhl und kratzte sie am Fuß. Da sagte sie: "Willst du fort!" und meinte, es wäre ihr Hund. Der Hase kratzte zum zweitenmal am Fuß, da sagte sie wieder: "Willst du fort!" und meinte, es wäre ihr Hund. Aber der Hase ließ sich nicht irre machen und kratzte zum drittenmal. Da guckte sie herab und erkannte den Hasen an seinem Halsband. Nun nahm sie ihn auf ihren Schoß, trug ihn in ihre Kammer und sprach: "Lieber Hase, was willst du?" Antwortete er: "Mein Herr, der den Drachen getötet hat, ist hier und schickt mich, ich soll um ein Brot bitten, wie es der König ißt." Da war sie voll Freude und ließ den Bäcker kommen und befahl ihm, ein Brot zu bringen, wie es der König aß. Sprach das Häslein: "Aber der Bäcker muß mir's auch hintragen, damit mir die Metzgerhunde nichts tun." Der Bäcker trug es ihm bis an die Türe der Wirtsstube. Da stellte sich der Hase auf die Hinterbeine, nahm alsbald das Brot in die Vorderpfoten und brachte es seinem Herrn. Da sprach der Jäger: "Sieht Er, Herr Wirt, die hundert Goldstücke sind mein." Der Wirt wunderte sich. Aber der Jäger sagte weiter: "Ja, Herr Wirt, das Brot hätt' ich, nun will ich aber auch von des Königs Braten essen." Der Wirt sagte: "Das möcht ich sehen," aber wetten wollte er nicht mehr. Rief der Jäger den Fuchs und sprach: "Mein Füchslein, geh hin und hol mir Braten, wie ihn der König ißt!" Der Rotfuchs wußte die Schliche besser, ging an den Ecken und durch die Winkel, ohne daß ihn ein Hund sah, setzte sich unter der Königstochter Stuhl und kratzte an ihrem Fuß. Da sah sie herab und erkannte den Fuchs am Halsband, nahm ihn mit in ihre Kammer und sprach: "Lieber Fuchs, was willst du? Antwortete er: "Mein Herr, der den Drachen getötet hat, ist hier und schickt mich, ich soll bitten um einen Braten, wie ihn der König ißt." Da ließ sie den Koch kommen, der mußte einen Braten, wie ihn der König aß, anrichten und dem Fuchs bis an die Türe tragen. Da nahm ihm der Fuchs die Schüssel ab, wedelte mit seinem Schwanz erst die Fliegen weg, die sich auf den Braten gesetzt hatten, und brachte ihn dann seinem Herrn. "Sieht Er, Herr Wirt," sprach der Jäger, "Brot und Fleisch ist da, nun will ich auch Zugemüs' essen, wie es der König ißt." Da rief er den Wolf und sprach: "Lieber Wolf, geh hin und hol mir Zugemüs', wie's der König ißt!" Da ging der Wolf geradezu ins Schloß, weil er sich vor niemand fürchtete. Und als er in der Königstochter Zimmer kam, da zupfte er sie hinten am Kleid, daß sie sich umschauen mußte. Sie erkannte ihn am Halsband und nahm ihn mit in ihre Kammer und sprach: "Lieber Wolf, was willst du?" Antwortete er: "Mein Herr, der den Drachen getötet hat, ist hier, ich soll bitten um ein Zugemüs', wie es der König ißt." Da ließ sie den Koch kommen, der mußte ein Zugemüs' bereiten, wie es der König aß, und mußte es dem Wolf bis vor die Türe tragen, da nahm ihm der Wolf die Schüssel ab und brachte sie seinem Herrn. "Sieht Er, Herr Wirt," sprach der Jäger, "nun hab ich Brot, Fleisch und Zugemüs', aber ich will auch Zuckerwerk essen, wie es der König ißt." Rief er den Bären und sprach: "Lieber Bär, du leckst doch gern etwas Süßes, geh hin und hol mir Zuckerwerk, wie's der König ißt!" Da trabte der Bär nach dem Schlosse und ging ihm jedermann aus dem Wege. Als er aber zu der Wache kam, hielt sie die Flinten vor und wollte ihn nicht ins königliche Schloß lassen. Aber er hob sich in die Höhe und gab mit seinen Tatzen links und rechts ein paar Ohrfeigen, daß die ganze Wache zusammenfiel, und darauf ging er geraden Weges zu der Königstochter, stellte sich hinter sie und brummte ein wenig. Da schaute sie rückwärts und erkannte den Bären und hieß ihn mitgehn in ihre Kammer und sprach: "Lieber Bär, was willst du?" Antwortete er: "Mein Herr, der den Drachen getötet hat, ist hier, ich soll bitten um Zuckerwerk, wie's der König ißt." Da ließ sie den Zuckerbäcker kommen, der mußte Zuckerwerk backen, wie's der König aß, und dem Bären vor die Türe tragen. Da leckte der Bär erst die Zuckererbsen auf, die heruntergerollt waren, dann stellte er sich aufrecht, nahm die Schüssel und brachte sie seinem Herrn. "Sieht Er, Herr Wirt," sprach der Jäger, "nun habe ich Brot, Fleisch, Zugemüs' und Zuckerwerk, aber ich will auch Wein trinken, wie ihn der König trinkt!" Er rief seinen Löwen herbei und sprach: "Lieber Löwe, du trinkst dir doch gerne einen Rausch, geh und hol mir Wein, wie ihn der König trinkt!" Da schritt der Löwe über die Straße, und die Leute liefen vor ihm, und als er an die Wache kam, wollte sie den Weg sperren, aber er brüllte nur einmal, so sprang alles fort. Nun ging der Löwe vor das königliche Zimmer und klopfte mit seinem Schweif an die Türe. Da kam die Königstochter heraus und wäre fast über den Löwen erschrocken; aber sie erkannte ihn an dem goldenen Schloß von ihrem Halsbande und hieß ihn in ihre Kammer gehen und sprach: "Lieber Löwe. was willst du?" Antwortete er: "Min Herr, der den Drachen getötet hat, ist hier, ich soll bitten um Wein, wie ihn der König trinkt." Da ließ sie den Mundschenk kommen, der sollte dem Löwen Wein geben, wie ihn der König tränke. Sprach der Löwe: "Ich will mitgehen und sehen, daß ich den rechten kriege." Da ging er mit dem Mundschenk hinab, und als sie unten hinkamen, wollte ihm dieser von dem gewöhnlichen Wein zapfen, wie ihn des Königs Diener tranken; aber der Löwe sprach: "Halt! Ich will den Wein erst versuchen," zapfte sich ein halbes Maß und schluckte es auf einmal hinab. "Nein," sagte er, "das ist nicht der rechte." Der Mundschenk sah ihn schief an, ging aber und wollte ihm aus einem andern Faß geben, das für des Königs Marschall war. Sprach der Löwe: "Halt! Erst will ich den Wein versuchen," zapfte sich ein halbes Maß und trank es, "der ist besser, aber noch nicht der rechte." Da ward der Mundschenk bös und sprach: "Was so ein dummes Vieh vom Wein verstehen will!" Aber der Löwe gab ihm einen Schlag hinter die Ohren, daß er unsanft zur Erde fiel. Und als er sich wieder aufgemacht hatte, führte er den Löwen ganz stillschweigend in einen kleinen besonderen Keller, wo des Königs Wein lag, von dem sonst kein Mensch zu trinken bekam. Der Löwe zapfte sich erst ein halbes Maß und versuchte den Wein, dann sprach er: "Das kann von dem rechten sein," und hieß den Mundschenk sechs Flaschen füllen. Nun stiegen sie herauf, wie der Löwe aber aus dem Keller ins Freie kam, schwankte er hin und her und war ein wenig trunken, und der Mundschenk mußte ihm den Wein bis vor die Tür tragen. Da nahm der Löwe den Henkelkorb in das Maul und brachte ihn seinem Herrn. Sprach der Jäger: "Sieht Er, Herr Wirt, da hab ich Brot, Fleisch, Zugemüs, Zuckerwerk und Wein, wie es der König hat, nun will ich mit meinen Tieren Mahlzeit halten," und setzte sich hin, aß und trank und gab dem Hasen, dem Fuchs, dem Wolf, dem Bär und dem Löwen auch davon zu essen und zu trinken und war guter Dinge, denn er sah, daß ihn die Königstochter noch lieb hatte.
Und als er Mahlzeit gehalten hatte, sprach er: "Herr Wirt, nun hab ich gegessen und getrunken, wie der König ißt und trinkt, Jetzt will ich an des Königs Hof gehen und die Königstochter heiraten. Fragte der Wirt: "Wie soll das zugehen, da sie schon einen Bräutigam hat und heute die Vermählung gefeiert wird?" Da zog der Jäger das Taschentuch heraus, das ihm die Königstochter auf dem Drachenberg gegeben hatte und worin die sieben Zungen des Untiers eingewickelt waren, und sprach: "Dazu soll mir helfen, was ich da in der Hand halte." Da sah der Wirt das Tuch an und sprach: "Wenn ich alles glaube, so glaube ich das nicht und will wohl Haus und Hof dransetzen." Der Jäger aber nahm einen Beutel mit tausend Goldstücken, stellte ihn auf den Tisch und sagte: "Das setze ich dagegen!"
Nun sprach der König an der königlichen Tafel zu seiner Tochter: "Was haben die wilden Tiere alle gewollt, die zu dir gekommen und in mein Schloß ein- und ausgegangen sind?" Da antwortete sie: "Ich darf's nicht sagen, aber schickt hin und laßt den Herrn dieser Tiere holen, so werdet Ihr wohltun." Der König schickte einen Diener ins Wirtshaus und ließ den fremden Mann einladen, und der Diener kam gerade, wie der Jäger mit dem Wirt gewettet hatte. Da sprach er: "Sieht Er Herr Wirt, da schickt der König einen Diener und läßt mich einladen, aber ich gehe so noch nicht." Und zu dem Diener sagte er: "Ich lasse den Herrn König bitten, daß er mir königliche Kleider schickt, einen Wagen mit sechs Pferden und Diener, die mir aufwarten.- Als der König die Antwort hörte, sprach er zu seiner Tochter: "Was soll ich tun?" Sagte sie: "Laßt ihn holen, wie er's verlangt, so werdet Ihr wohltun." Da schickte der König königliche Kleider, einen Wagen mit sechs Pferden und Diener, die ihm aufwarten sollten. Als der Jäger sie kommen sah, sprach er: "Sieht Er, Herr Wirt, nun werde ich abgeholt, wie ich es verlangt habe," und zog die königlichen Kleider an, nahm das Tuch mit den Drachenzungen und fuhr zum König. Als ihn der König kommen sah, sprach er zu seiner Tochter: "Wie soll ich ihn empfangen?" Antwortete sie: "Geht ihm entgegen, so werdet Ihr wohltun." Da ging der König ihm entgegen und führte ihn herauf, und seine Tiere folgten ihm nach. Der König wies ihm einen Platz an neben sich und seiner Tochter, der Marschall saß auf der andern Seite als Bräutigam; aber der kannte ihn nicht mehr. Nun wurden gerade die sieben Häupter des Drachen zur Schau aufgetragen, und der König sprach: "Die sieben Häupter hat der Marschall dem Drachen abgeschlagen, darum geb ich ihm heute meine Tochter zur Gemahlin." Da stand der Jäger auf, öffnete die sieben Rachen und sprach: "Wo sind die sieben Zungen des Drachen?" Da erschrak der Marschall, ward bleich und wußte nicht, was er antworten sollte, endlich sagte er in der Angst: "Drachen haben keine Zungen." Sprach der Jäger: "Die Lügner sollen keine haben, aber die Drachenzungen sind das Wahrzeichen des Sieges," und wickelte das Tuch auf, da lagen sie alle sieben darin, und dann steckte er jede Zunge in den Rachen, in den sie gehörte, und sie paßte genau. Darauf nahm er das Tuch. in welches der Name der Köngstochter gestickt war, und zeigte es der Jungfrau und fragte sie, wem sie es gegeben hätte. Da antwortete sie: "Dem, der den Drachen getötet hat." Und dann rief er sein Getier, nahm jedem das Halsband und dem Löwen das goldene Schloß ab und zeigte es der Jungfrau und fragte, wem es angehörte. Antwortete sie: "Das Halsband und das goldene Schloß waren mein, ich habe es unter die Tiere verteilt, die den Drachen besiegen halfen." Da sprach der Jäger: "Als ich müde von dem Kampf geruht und geschlafen habe, da ist der Marschall gekommen und hat mir den Kopf abgehauen. Dann hat er die Königstochter fortgetragen und vorgegeben, er sei es gewesen, der den Drachen getötet habe; und daß er gelogen hat, beweise ich mit den Zungen, dem Tuch und dem Halsband." Und dann erzählte er, wie ihn seine Tiere durch eine wunderbare Wurzel geheilt hätten und daß er ein Jahr lang mit ihnen herumgezogen und endlich wieder hierhergekommen wäre, wo er den Betrug des Marschalls durch die Erzählung des Wirts erfahren hätte. Da fragte der König seine Tochter: "Ist es wahr, daß dieser den Drachen getötet hat?" Da antwortete sie: "Ja, es ist wahr jetzt darf ich die Schandtat des Marschalls offenbaren, weil sie ohne mein Zutun an den Tag gekommen ist, denn er hat mir das Versprechen zu schweigen abgezwungen. Darum aber habe ich mir ausgehalten, daß erst in Jahr und Tag die Hochzeit sollte gefeiert werden."
Da ließ der König zwölf Ratsherren rufen, die sollten über den Marschall Urteil sprechen, und die urteilten, daß er müßte von vier Ochsen zerrissen werden. Also ward der Marschall gerichtet, der König aber übergab seine Tochter dem Jäger und ernannte ihn zu seinem Statthalter im ganzen Reich. Die Hochzeit ward mit großen Freuden gefeiert, und der junge König ließ seinen Vater und Pflegevater holen und überhäufte sie mit Schätzen. Den Wirt vergaß er auch nicht und ließ ihn kommen und sprach zu ihm: "Sieht Er, Herr Wirt, die Königstochter habe ich geheiratet, und sein Haus und Hof sind mein." Sprach der Wirt: "Ja, das wäre nach dem Rechten." Der junge König aber sagte: "Es soll nach Gnaden gehen: Haus und Hof soll Er behalten, und die tausend Goldstücke schenke ich ihm noch dazu.
Nun waren der junge König und die junge Königin guter Dinge und lebten vergnügt zusammen. Er zog oft hinaus auf die Jagd, weil das seine Freude war, und die treuen Tiere mußten ihn begleiten. Es lag aber in der Nähe ein Wald, von dem hieß es, er wäre nicht geheuer, und wäre einer erst darin, so käme er nicht leicht wieder heraus. Der junge König hatte aber große Lust. darin zu jagen, und ließ dem alten König keine Ruhe, bis er es ihm erlaubte. Nun ritt er mit einer großen Begleitung aus, und als er zu dem Wald kam, sah er eine schneeweiße Hirschkuh darin und sprach zu seinen Leuten: "Haltet hier, bis ich zurückkomme, ich will das schöne Wild jagen," und ritt ihm nach in den Wald hinein, und nur seine Tiere folgten ihm. Die Leute hielten und warteten bis Abend, aber er kam nicht wieder. Da ritten sie heim und erzählten der jungen Königin: "Der junge König ist im Zauberwald einer weißen Hirschkuh nachgejagt und ist nicht wieder gekommen." Da war sie in großer Besorgnis um ihn.
Er war aber dem schönen Wild immer nachgeritten und konnte es niemals einholen; wenn er meinte, es wäre schußrecht, so sah er es gleich wieder in weiter Ferne dahinspringen, und endlich verschwand es ganz. Nun merkte er, daß er tief in den Wald hineingeraten war, nahm sein Horn und blies, aber er bekam keine Antwort, denn seine Leute konnten's nicht hören. Und da auch die Nacht einbrach, sah er, daß er diesen Tag nicht heimkommen könnte, stieg ab, machte sich bei einem Baum ein Feuer an und wollte dabei übernachten. Als er bei dem Feuer saß und seine Tiere sich auch neben ihn gelegt hatten, deuchte ihm, als höre er eine menschliche Stimme; er schaute umher, konnte aber nichts bemerken. Bald darauf hörte er wieder ein Ächzen wie von oben her, da blickte er in die Höhe und sah ein altes Weib auf dem Baume sitzen, das jammerte in einem fort: "Hu, hu, hu, was mich friert!" Sprach er: "Steig herab und wärme dich, wenn dich friert." Sie aber sagte: "Nein, deine Tiere beißen mich." Antwortete er: "Sie tun dir nichts, Altes Mütterchen, komm nur herunter." Sie war aber eine Hexe und sprach: "Ich will eine Rute von dem Baum herabwerfen, wenn du sie damit auf den Rücken schlägst tun sie mir nichts." Da warf sie ihm ein Rütlein herab, und er schlug sie damit alsbald lagen sie still und waren in Stein verwandelt. Und als die Hexe vor den Tieren sicher war, sprang sie herunter und rührte auch ihn mit einer Rute an und verwandelte ihn in Stein. Darauf lachte sie und schleppte ihn und seine Tiere in einen Graben, wo schon mehr solcher Steine lagen.
Als aber der junge König gar nicht wiederkam, ward die Angst und Sorge der Königin immer größer. Nun trug sich zu, daß gerade in dieser Zelt der andere Bruder, der bei der Trennung gen Osten gewandert war, in das Königreich kam. Er hatte einen Dienst gesucht und keinen gefunden, war dann herum gezogen hin und her und hatte seine Tiere tanzen lassen. Da fiel ihm ein, er wollte einmal nach dem Messer sehen, das sie bei ihrer Trennung in einen Baumstamm gestoßen hatten, um zu erfahren, wie es seinem Bruder ginge. Wie er dahin kam, war seines Bruders Seite halb verrostet und halb war sie noch blank. Da erschrak er und dachte: Meinen Bruder muß ein großes Unglück zugestoßen sein, doch kann ich ihn vielleicht noch retten, denn die Hälfte des Messers ist noch blank. Er zog mit seinen Tieren gen Westen, und als er an das Stadttor kam, trat ihm die Wache entgegen und fragte, ob sie ihn seiner Gemahlin melden sollte, die junge Königin wäre seit ein paar Tagen in großer Angst über sein Ausbleiben und fürchtete, er wäre im Zauberwald umgekommen. Die Wache nämlich glaubte nichts anders, als er wäre der junge König selbst so ähnlich sah er ihm, und hatte auch die wilden Tiere hinter sich laufen. Da merkte er, daß von seinem Bruder die Rede war, und dachte: Es ist das Bete, ich gebe mich für ihn aus, so kann ich ihn wohl leichter erretten. Also ließ er sich von der Wache ins Schloß begleiten und ward mit Großer Freude empfangen. Die junge Königin meinte nichts anders als es wäre ihr Gemahl, und fragte ihn, warum er so lange ausgeblieben wäre. Er antwortete: "Ich hatte mich in einem Walde verirrt und konnte mich nicht eher wieder herausfinden.
Abends ward er in das königliche Bett gebracht, aber er legte ein zweischneidiges Schwert zwischen sich und die junge Königin. Sie wußte nicht, was das heißen sollte, getraute sich aber nicht zu fragen.
Da blieb er ein paar Tage und erforschte derweil alles, wie es mit dem Zauberwald beschaffen war, endlich sprach er: "Ich muß noch einmal dort jagen." Der König und die junge Königin wollten es ihm ausreden, aber er bestand darauf und zog mit großer Begleitung hinaus. Als er in den Wald gekommen war, erging es ihm wie seinem Bruder, er sah eine weiße Hirschkuh und sprach zu seinen Leuten: "Bleibt hier und wartet bis ich wiederkomme, ich will das schöne Wild jagen," ritt in den Wald hinein, und seine Tiere liefen ihm nach. Aber er konnte die Hirschkuh nicht einholen und geriet so tief in den Wald, daß er darin übernachten mußte. Und als er ein Feuer angemacht hatte, hörte er über sich ächzen: "Hu, hu, hu, wie mich friert!" Da schaute er hinauf, und es saß dieselbe Hexe oben im Baum. Sprach er: "Wenn dich friert, so komm herab, altes Mütterchen, und wärme dich." Antwortete sie: "Nein, deine Tiere beißen mich" Er aber sprach: "Sie tun dir nichts" Da rief sie: "Ich will dir eine Rute hinabwerfen, wenn du sie damit schlägst, so tun sie mir nichts." Wie der Jäger das hörte, traute er der Alten nicht und sprach: "Meine Tiere Schlag ich nicht, komm du herunter, oder ich hol dich." Da rief sie: "Was willst du wohl? Du tust mir doch nichts" Er aber antwortete: "Kommst du nicht, so schieß ich dich herunter." Sprach sie: "Schieß nur zu, vor deinen Kugeln fürchte ich mich nicht." Da legte er an und schoß nach ihr, aber die Hexe war fest gegen alle Bleikugeln, lachte, daß es gellte, und rief: "Du sollst mich noch nicht treffen." Der Jäger wußte Bescheid, riß sich drei silberne Knöpfe vom Rock und lud sie in die Büchse, denn dagegen war ihre Kunst umsonst, und als er losdrückte, stürzte sie gleich mit Geschrei herab. Da stellte er den Fuß auf sie und sprach: "Alte Hexe, wenn du nicht gleich gestehst, wo mein Bruder ist, so pack ich dich mit beiden Händen und werfe dich ins Feuer!" Sie wer in großer Angst bat um Gnade und sagte: "Er liegt mit seinen Tieren versteinert in einem Graben." Da zwang er sie mit hinzugehen, drohte ihr und sprach: "Alte Meerkatze, Jetzt machst du meinen Bruder und alle Geschöpfe, die hier liegen lebendig, oder du kommst ins Feuer!" Sie nahm eine Rute und rührte die Steine an, da wurde sein Bruder mit den Tieren wieder lebendig, und viele andere, Kaufleute, Handwerker, Hirten, standen auf, dankten für ihre Befreiung und zogen heim. Die Zwillingsbrüder aber, als sie sich wiedersahen, küßten sich und freuten sich von Herzen. Dann griffen sie die Hexe, banden sie und legten sie ins Feuer, und als sie verbrannt war, da tat sich der Wald von selbst auf und ward licht und hell, und man konnte das königliche Schloß auf drei Stunden Wegs sehen.
Nun gingen die zwei Brüder zusammen nach Haus und erzählten einander auf dem Weg ihre Schicksale. Und als der jüngste sagte, er wäre an des Königs statt Herr im ganzen Lande, sprach der andere: "Das hab ich wohl gemerkt, denn als ich in die Stadt kam und für dich angesehen ward, da geschah mir alle königliche Ehre. Die junge Königin hielt mich für ihren Gemahl, und ich mußte an ihrer Seite essen und in deinem Bett schlafen." Wie das der andere hörte, ward er so eifersüchtig und zornig, daß er sein Schwert zog und seinem Bruder den Kopf abschlug. Als dieser aber tot dalag und er das rote Blut fließen sah, reute es ihn gewaltig. "Mein Bruder hat mich erlöst," rief er aus, "und ich habe ihn dafür getötet!" und jammerte laut. Da kam sein Hase und erbot sich, von der Lebenswurzel zu holen, sprang fort und brachte sie noch zu rechter Zeit, und der Tote ward wieder ins Leben gebracht und merkte gar nichts von der Wunde.
Darauf zogen sie weiter, und der jüngste sprach: "Du siehst aus wie ich, hast königliche Kleider an wie ich, und die Tiere folgen dir nach wie mir. Wir wollen zu den entgegengesetzten Toren eingehen und von zwei Seiten zugleich beim alten König anlangen." Also trennten sie sich, und bei dem alten König kam zu gleicher Zeit die Wache von dem einen und dem andern Tore und meldete, der junge König mit den Tieren wäre von der Jagd angelangt. Sprach der König: "Es ist nicht möglich, die Tore liegen eine Stunde weit auseinander." Indem aber kamen von zwei Seiten die beiden Brüder in den Schloßhof hinein und stiegen beide herauf. Da sprach der König zu seiner Tochter: "Sag an, welcher ist dein Gemahl? Es sieht einer aus wie der andere, ich kann's nicht wissen." Sie war da in großer Angst und konnte es nicht sagen, endlich fiel ihr das Halsband ein, das sie den Tieren gegeben hatte, suchte und fand an dem einen Löwen ihr goldenes Schlößchen. Da rief sie vergnügt: "Der, dem dieser Löwe nachfolgt, der ist mein rechter Gemahl!" Da lachte der junge König und sagte: "Ja, das ist der rechte," und sie setzten sich zusammen zu Tisch, aßen und tranken und waren fröhlich. Abends, als der junge König zu Bett ging, sprach seine Frau: "Warum hast du die vorigen Nächte immer ein zweischneidiges Schwert in unser Bett gelegt? Ich habe geglaubt, du wolltest mich totschlagen." Da erkannte er, wie treu sein Bruder gewesen war.
Diese Folge wird Ihnen von Podbean.com zur Verfügung gestellt.

Monday Aug 12, 2024

Es war ein Mann, der hieß Frieder, und eine Frau, die hieß Katherlieschen, die hatten einander geheiratet und lebten zusammen als junge Eheleute. Eines Tages sprach der Frieder: "Ich will jetzt zu Acker, Katherlieschen, wann ich wiederkomme, muß etwas Gebratenes auf dem Tisch stehen für den Hunger, und ein frischer Trunk dabei für den Durst." - "Geh nur, Friederchen," antwortete Katherlieschen. "Geh nur, will dir's schon recht machen." Als nun die Essenszeit herbeirückte, holte sie eine Wurst aus dem Schornstein, tat sie in eine Bratpfanne, legte Butter dazu und stellte sie übers Feuer. Die Wurst fing an zu braten und zu brutzeln, Katherlieschen stand dabei, hielt den Pfannenstiel und hatte so seine Gedanken. Da fiel ihm ein: Bis die Wurst fertig wird, derweil könntest du ja im Keller den Trunk zapfen. Also stellte es den Pfannenstiel fest, nahm eine Kanne, ging hinab in den Keller und zapfte Bier. Das Bier lief in die Kanne und Katherlieschen sah ihm zu. Da fiel ihm ein: Holla, der Hund oben ist nicht beigetan, der könnte die Wurst aus der Pfanne holen, du kämst mir recht. Und im Hui war es die Kellertreppe hinauf. Aber der Spitz hatte die Wurst schon im Maul und schleifte sie auf der Erde mit sich fort. Doch Katherlieschen, nicht faul, setzte ihm nach und jagte ihn ein gut Stück ins Feld; aber der Hund war geschwinder als Katherlieschen, ließ auch die Wurst nicht fahren, sondern über die Acker hinhüpfen. "Hin ist hin!" sprach Katherlieschen, kehrte um, und weil es sich müde gelaufen hatte, ging es hübsch langsam und kühlte sich ab. Während der Zeit lief das Bier aus dem Faß immerzu, denn Katherlieschen hatte den Hahn nicht umgedreht, und als die Kanne voll und sonst kein Platz da war, so lief es in den Keller und hörte nicht eher auf, als bis das ganze Faß leer war. Katherlieschen sah schon auf der Treppe das Unglück. "Spuk," rief es, "was fängst du jetzt an, daß es der Frieder nicht merkt!" Es besann sich ein Weilchen, endlich fiel ihm ein, von der letzten Kirmes stände noch ein Sack mit schönem Weizenmehl auf dem Boden, das wollte es herabholen und in das Bier streuen. "Ja," sprach es, "wer zu rechten Zeit was spart, der hat's hernach in der Not," stieg auf den Boden, trug den Sack herab und warf ihn gerade auf die Kanne voll Bier, daß sie umstürzte und der Trunk des Frieders auch im Keller schwamm. "Es ist ganz recht," sprach Katherlieschen, "wo eins ist, muß das andere auch sein," und zerstreute das Mehl im ganzen Keller. Als es fertig war, freute es sich gewaltig über seine Arbeit und sagte: "Wie's so reinlich und sauber hier aussieht!"
Um Mittagszeit kam der Frieder heim. "Nun, Frau, was hast du mir zurechtgemacht?" - "Ach, Friederchen," antwortete sie, "ich wollte dir ja eine Wurst braten, aber während ich das Bier dazu zapfte, hat sie der Hund aus der Pfanne weggeholt, und während ich dem Hund nachsprang, ist das Bier ausgelaufen, und als ich das Bier mit dem Weizenmehl auftrocknen wollte, hab ich die Kanne auch noch umgestoßen; aber sei nur zufrieden, der Keller ist wieder ganz trocken." Sprach der Frieder: "Katherlieschen, Katherlieschen, das hättest du nicht tun müssen! Läßt die Wurst wegholen und das Bier aus dem Faß laufen und verschüttest obendrein unser feines Mehl!" - "Ja, Friederchen, das habe ich nicht gewußt, hättest mir's sagen müssen."
Der Mann dachte: Geht das so mit deiner Frau, so mußt du dich besser vorsehen. Nun hatte er eine hübsche Summe Taler zusammengebracht, die wechselte er in Gold ein und sprach zum Katherlieschen: "Siehst du, das sind gelbe Gickelinge, die will ich in einen Topf tun und im Stall unter der Kuhkrippe vergraben, aber daß du mir ja davonbleibst, sonst geht dir's schlimm." Sprach sie: "Nein, Friederchen, will's gewiß nicht tun!" Nun, als der Frieder fort war, da kamen Krämer, die irdne Näpfe und Töpfe feil hatten, ins Dorf und fragten bei der jungen Frau an, ob sie nichts zu handeln hätte. "Oh, ihr lieben Leute," sprach Katherlieschen, "ich habe kein Geld und kann nichts kaufen; aber könnt ihr gelbe Gickelinge brauchen, so will ich wohl kaufen." - "Gelbe Gickelinge, warum nicht? Laßt sie einmal sehen." - "So geht in den Stall und grabt unter der Kuhkrippe, so werdet ihr die gelben Gickelinge finden, ich darf nicht dabeigehen." Die Spitzbuben gingen hin, gruben und fanden eitel Gold. Da packten sie auf damit, liefen fort und ließen die Töpfe und Näpfe im Hause stehen. Katherlieschen meinte, sie müßte das neue Geschirr auch brauchen; weil nun in der Küche ohnehin kein Mangel daran war, schlug sie jedem Topf den Boden aus und steckte sie insgesamt zum Zierat auf die Zaunpfähle rings ums Haus herum. Wie der Frieder kam und den neuen Zierat sah, sprach er: "Katherlieschen, was hast du gemacht?" - "Hab's gekauft, Friederchen, für die gelben Gickelinge, die unter der Kuhkrippe steckten, bin selber nicht dabeigegangen, die Krämer haben sich's herausgraben müssen." - "Ach, Frau," sprach der Frieder, "was hast du gemacht! Das waren keine Gickelinge, es war eitel Gold und war all unser Vermögen; das hättest du nicht tun sollen!" - "Ja, Friederchen," antwortete sie, "das hab' ich nicht gewußt, hättest mir's vorher sagen sollen."
Katherlieschen stand ein Weilchen und besann sich, da sprach sie: "Hör, Friederchen, das Gold wollen wir schon wiederkriegen, wollen hinter den Dieben herlaufen." - "So komm," sprach der Frieder, "wir wollen's versuchen; nimm aber Brot und Käse mit, daß wir auf dem Weg was zu essen haben." - "Ja, Friederchen, will's mitnehmen." Sie machten sich fort, und weil der Frieder besser zu Fuß war, ging Katherlieschen hinten nach. Ist mein Vorteil, dachte es, wenn wir umkehren, hab ich ja ein Stück voraus. Nun kam es an einen Berg, wo auf beiden Seiten des Wegs tiefe Fahrgleise waren. "Da sehe einer," sprach Katherlieschen, "was sie das arme Erdreich zerrissen, geschunden und gedrückt haben! Das wird sein Lebtag nicht wieder heil." Und aus mitleidigem Herzen nahm es seine Butter und bestrich die Gleise, rechts und links, damit sie von den Rädern nicht so gedrückt würden. Und wie es sich bei seiner Barmherzigkeit so bückte, rollte ihm ein Käse aus der Tasche den Berg hinab. Sprach das Katherlieschen: "Ich habe den Weg schon einmal heraufgemacht, ich gehe nicht wieder hinab, es mag ein anderer hinlaufen und ihn wiederholen." Also nahm es einen andern Käs und rollte ihn hinab. Die Käse aber kamen nicht wieder, da ließ es noch einen dritten hinablaufen und dachte: Vielleicht warten sie auf Gesellschaft und gehen nicht gern allein. Als sie alle drei ausblieben, sprach es: "Ich weiß nicht, was das vorstellen soll! Doch kann's ja sein, der dritte hat den Weg nicht gefunden und sich verirrt, ich will nur den vierten schicken, daß er sie herbeiruft." Der vierte machte es aber nicht besser als der dritte. Da ward das Katherlieschen ärgerlich und warf noch den fünften und sechsten hinab, und das waren die letzten. Eine Zeitlang blieb es stehen und lauerte, daß sie kämen, als sie aber immer nicht kamen, sprach es: "Oh, ihr seid gut nach dem Tod schicken, ihr bleibt fein lange aus! Meint ihr, ich wollt noch länger auf euch warten? Ich gehe meiner Wege, ihr könnt mir nachlaufen, ihr habt jüngere Beine als ich." Katherlieschen ging fort und fand den Frieder, der war stehen geblieben und hatte gewartet, weil er gerne was essen wollte. "Nun gib einmal her, was du mitgenommen hast." Sie reichte ihm das trockene Brot. "Wo ist Butter und Käse?" fragte der Mann. "Ach, Friederchen," sagte Katherlieschen, "mit der Butter hab ich die Fahrgleise geschmiert, und die Käse werden bald kommen; einer lief mir fort, da hab ich die andern nachgeschickt, sie sollten ihn rufen." Sprach der Frieder: "Das hättest du nicht tun sollen, Katherlieschen, die Butter an den Weg schmieren und die Käse den Berg hinabrollen." - "Ja, Friederchen, hättest mir's sagen müssen!"
Da aßen sie das trockene Brot zusammen, und der Frieder sagte: "Katherlieschen, hast du auch unser Haus verwahrt, wie du fortgegangen bist?" -"Nein, Friederchen, hättest mir's vorher sagen sollen." - "So geh wieder heim und bewahr erst das Haus, ehe wir weitergehen; bring auch etwas anderes zu essen mit, ich will hier auf dich warten." Katherlieschen ging zurück und dachte: Friederchen will etwas anderes zu essen, Butter und Käse schmeckt ihm wohl nicht, so will ich ein Tuch voll Hutzeln und einen Krug Essig zum Trunk mitnehmen. Danach riegelte es die Obertüre zu, aber die Untertüre hob es aus, nahm sie auf die Schulter und glaubte, wenn es die Türe in Sicherheit gebracht hätte, müßte das Haus wohl bewahrt sein. Katherlieschen nahm sich Zeit zum Weg und dachte: Desto länger ruht sich Friederchen aus. Als es ihn wieder erreicht hatte, sprach es: "Da, Friederchen, hast du die Haustüre, da kannst du das Haus selber verwahren." - "Ach, Gott!" sprach er, "was hab ich für eine kluge Frau! Hebt die Türe unten aus, daß alles hineinlaufen kann, und riegelt sie oben zu. Jetzt ist's zu spät, noch einmal nach Haus zu gehen, aber hast du die Türe hierhergebracht, so sollst du sie auch ferner tragen." - "Die Türe will ich tragen, Friederchen, aber die Hutzeln und der Essigkrug werden mir zu schwer, ich hänge sie an die Türe, die mag sie tragen."
Nun gingen sie in den Wald und suchten die Spitzbuben, aber sie fanden sie nicht. Weil's endlich dunkel ward, stiegen sie auf einen Baum und wollten da übernachten. Kaum aber saßen sie oben, so kamen die Kerle daher, die forttragen, was nicht mitgehen will, und die Dinge finden, ehe sie verloren sind. Sie ließen sich gerade unter dem Baum nieder, auf dem Frieder und Katherlieschen saßen, machten sich ein Feuer an und wollten ihre Beute teilen. Der Frieder stieg von der andern Seite herab und sammelte Steine, stieg damit wieder hinauf und wollte die Diebe totwerfen. Die Steine aber trafen nicht, und die Spitzbuben riefen: "Es ist bald Morgen, der Wind schüttelt die Tannäpfel herunter." Katherlieschen hatte die Tür noch immer auf der Schulter, und weil sie so schwer drückte, dachte es, die Hutzeln wären schuld, und sprach: "Friederchen, ich muß die Hutzeln hinabwerfen." - "Nein, Katherlieschen, jetzt nicht," antwortete er, "sie könnten uns verraten." - "Ach, Friederchen, ich muß, sie drücken mich gar zu sehr." - "Nun so tu's, ins Henkers Namen!" Da rollten die Hutzeln zwischen den Ästen herab, und die Kerle unten sprachen: "Die Vögel misten." Eine Weile danach, weil die Türe noch immer drückte, sprach Katherlieschen: "Ach, Friederchen, ich muß den Essig ausschütten." - "Nein, Katherlieschen, das darfst du nicht, es könnte uns verraten." - "Ach, Friederchen, ich muß, es drückt mich gar zu sehr." - "Nun so tu's, ins Henkers Namen!" Da schüttete es den Essig aus, daß es die Kerle bespritzte. Sie sprachen untereinander: "Der Tau tröpfelt schon herunter." Endlich dachte Katherlieschen: Sollte es wohl die Türe sein, was mich so drückt? und sprach: "Friederchen, ich muß die Türe hinabwerfen." - "Nein, Katherlieschen, jetzt nicht, sie könnte uns verraten." - "Ach, Friederchen, ich muß, sie drückt mich gar zu sehr." - "Nein, Katherlieschen, halt sie ja fest!" - "Ach, Friederchen, ich laß sie fallen." - "Ei," antwortete Frieder ärgerlich, "so laß sie fallen ins Teufels Namen!" Da fiel sie herunter mit starkem Gepolter, und die Kerle unten riefen: "Der Teufel kommt vom Baum herab," rissen aus und ließen alles im Stich. Frühmorgens, wie die zwei herunterkamen, fanden sie all ihr Gold wieder und trugen's heim.
Als sie wieder zu Haus waren, sprach der Frieder: "Katherlieschen, nun mußt du aber auch fleißig sein und arbeiten." - "Ja, Friederchen, will's schon tun, will ins Feld gehen, Frucht schneiden." Als Katherlieschen im Feld war, sprach's mit sich selber: "Eß ich, ehe ich schneid, oder schlaf ich, ehe ich schneid? Hei, ich will ehr essen!" Da aß Katherlieschen und ward überm Essen schläfrig und fing an zu schneiden und schnitt halb träumend alle seine Kleider entzwei: Schürze, Rock und Hemd. Wie Katherlieschen nach langem Schlaf wieder erwachte, stand es halb nackig da und sprach zu sich selber: "Bin ich's oder bin ich's nicht? Ach, ich bin's nicht!" Unterdessen ward's Nacht, da lief Katherlieschen ins Dorf hinein, klopfte an ihres Mannes Fenster und rief: "Friederchen!" - "Was ist denn?" - "Möcht gern wissen, ob Katherlieschen drinnen ist." - "Ja, ja," antwortete der Frieder, "es wird wohl drinnen liegen und schlafen." Sprach sie: "Gut, dann bin ich gewiß schon zu Haus," und lief fort.
Draußen fand Katherlieschen Spitzbuben, die wollten stehlen. Da ging es zu ihnen und sprach: "Ich will euch helfen stehlen." Die Spitzbuben meinten, es wüßte die Gelegenheit des Orts und waren's zufrieden. Katherlieschen ging vor die Häuser und rief: "Leute, habt ihr was? Wir wollen stehlen." Dachten die Spitzbuben: Das wird gut und wünschten, sie wären Katherlieschen wieder los. Da sprachen sie zu ihm: "Vorm Dorfe hat der Pfarrer Rüben auf dem Feld, geh hin und rupf uns Rüben!" Katherlieschen ging hin aufs Land und fing an zu rupfen, war aber so faul und hob sich nicht in die Höhe. Da kam ein Mann vorbei, sah's und stand still und dachte, das wäre der Teufel, der so in den Rüben wühlte. Lief fort ins Dorf zum Pfarrer und sprach: "Herr Pfarrer, in Eurem Rübenland ist der Teufel und rupft!" - "Ach Gott," antwortete der Pfarrer, "ich habe einen lahmen Fuß, ich kann nicht hinaus und ihn wegbannen." Sprach der Mann: "So will ich Euch hockeln," und hockelte ihn hinaus. Und als sie auf das Land kamen, machte sich das Katherlieschen auf und reckte sich in die Höhe. "Ach, der Teufel!" rief der Pfarrer, und beide eilten fort, und der Pfarrer konnte vor großer Angst mit seinem lahmen Fuß gerader laufen als der Mann, der ihn gehockt hatte, mit seinen gesunden Beinen.
Diese Folge wird Ihnen von Podbean.com zur Verfügung gestellt.

Der Hund und der Sperling

Monday Aug 12, 2024

Monday Aug 12, 2024

Ein Schäferhund hatte keinen guten Herrn, sondern einen, der ihn Hunger leiden ließ. Wie er's nicht länger bei ihm aushalten konnte, ging er ganz traurig fort. Auf der Straße begegnete ihm ein Sperling, der sprach: "Bruder Hund, warum bist du so traurig?" Antwortete der Hund: "Ich bin hungrig und habe nichts zu fressen." Da sprach der Sperling: "Lieber Bruder, komm mit in die Stadt, so will ich dich satt machen." Also gingen sie zusammen in die Stadt, und als sie vor einen Fleischerladen kamen, sprach der Sperling zum Hunde: "Da bleib stehen, ich will dir ein Stück Fleisch herunterpicken," setzte sich auf den Laden, schaute sich um, ob ihn auch niemand bemerkte, und pickte, zog und zerrte so lang an einem Stück, das am Rande lag, bis es herunterrutschte. Da packte es der Hund, lief in eine Ecke und fraß es auf. Sprach der Sperling: "Nun komm mit zu einem andern Laden, da will ich dir noch ein Stück herunterholen, damit du satt wirst." Als der Hund auch das zweite Stück gefressen hatte, fragte der Sperling: "Bruder Hund, bist du nun satt?" - "Ja, Fleisch bin ich satt," antwortete er, "aber ich habe noch kein Brot gekriegt." Sprach der Sperling: "Das sollst du auch haben, komm nur mit." Da führte er ihn an einen Bäkkerladen und pickte an ein paar Brötchen, bis sie herunterrollten, und als der Hund noch mehr wollte, führte er ihn zu einem andern und holte ihm noch einmal Brot herab. Wie das verzehrt war, sprach der Sperling: "Bruder Hund, bist du nun satt?" - "Ja," antwortete er, "nun wollen wir ein bißchen vor die Stadt gehen."
Da gingen sie beide hinaus auf die Landstraße. Es war aber warmes Wetter, und als sie ein Eckchen gegangen waren, sprach der Hund: "Ich bin müde und möchte gerne schlafen." - "Ja, schlaf nur," antwortete der Sperling, "ich will mich derweil auf einen Zweig setzen." Der Hund legte sich also auf die Straße und schlief fest ein. Während er dalag und schlief, kam ein Fuhrmann herangefahren, der hatte einen Wagen mit drei Pferden und hatte zwei Fässer Wein geladen. Der Sperling aber sah, daß er nicht ausbiegen wollte, sondern in dem Fahrgleise blieb, in welchem der Hund lag. Da rief er: "Fuhrmann, tu's nicht, oder ich mache dich arm!" Der Fuhrmann aber brummte vor sich: "Du wirst mich nicht arm machen," knallte mit der Peitsche und trieb den Wagen über den Hund, daß ihn die Räder totfuhren. Da rief der Sperling: "Du hast mir meinen Bruder Hund totgefahren, das soll dich Karre und Gaul kosten." - "Ja, Karre und Gaul," sagte der Fuhrmann, "was könntest du mir schaden!" und fuhr weiter. Da kroch der Sperling unter das Wagentuch und pickte an dem einen Spundloch so lange, bis er den Spund losbrachte: da lief der ganze Wein heraus, ohne daß es der Fuhrmann merkte. Und als er einmal hinter sich blickte, sah er, daß der Wagen tröpfelte, untersuchte die Fässer und fand, daß eins leer war. "Ach, ich armer Mann!" rief er. "Noch nicht arm genug," sprach der Sperling und flog dem einen Pferd auf den Kopf und pickte ihm die Augen aus. Als der Fuhrmann das sah, zog er seine Hacke heraus und wollte den Sperling treffen, aber der Sperling flog in die Höhe, und der Fuhrmann traf seinen Gaul auf den Kopf, daß er tot hinfiel. "Ach, ich armer Mann!" rief er. "Noch nicht arm genug," sprach der Sperling, und als der Fuhrmann mit den zwei Pferden weiterfuhr, kroch der Sperling wieder unter das Tuch und pickte den Spund auch am zweiten Faß los, daß aller Wein herausschwankte. Als es der Fuhrmann gewahr wurde, rief er wieder: "Ach, ich armer Mann!" Aber der Sperling antwortete: "Noch nicht arm genug," setzte sich dem zweiten Pferd auf den Kopf und pickte ihm die Augen aus. Der Fuhrmann lief herbei und holte mit seiner Hacke aus, aber der Sperling flog in die Höhe, da traf der Schlag das Pferd, daß es hinfiel. "Ach, ich armer Mann!" - "Noch nicht arm genug," sprach der Sperling, setzte sich auch dem dritten Pferd auf den Kopf und pickte ihm nach den Augen. Der Fuhrmann schlug in seinem Zorn, ohne umzusehen, auf den Sperling los, traf ihn aber nicht, sondern schlug auch sein drittes Pferd tot. "Ach, ich armer Mann!" rief er. "Noch nicht arm genug," antwortete der Sperling, "jetzt will ich dich daheim arm machen," und flog fort.
Der Fuhrmann mußte den Wagen stehenlassen und ging voll Zorn und Ärger heim. "Ach!" sprach er zu seiner Frau, "was hab ich Unglück gehabt! Der Wein ist ausgelaufen, und die Pferde sind alle drei tot." - "Ach, Mann," antwortete sie, "was für ein böser Vogel ist ins Haus gekommen! Er hat alle Vögel auf der Welt zusammengebracht, und die sind droben über unsern Weizen hergefallen und fressen ihn auf." Da stieg er hinauf, und tausend und tausend Vögel saßen auf dem Boden und hatten den Weizen aufgefressen, und der Sperling saß mitten darunter. Da rief der Fuhrmann: "Ach, ich armer Mann!" - "Noch nicht arm genug," antwortete der Sperling. "Fuhrmann, es kostet dir noch dein Leben," und flog hinaus.
Da hatte der Fuhrmann all sein Gut verloren, ging hinab in die Stube, setzte sich hinter den Ofen, ganz bös und giftig. Der Sperling aber saß draußen vor dem Fenster und rief: "Fuhrmann, es kostet dir dein Leben!" Da griff der Fuhrmann die Hacke und warf sie nach dem Sperling, aber er schlug nur die Fensterscheiben entzwei und traf den Vogel nicht. Der Sperling hüpfte nun herein, setzte sich auf den Ofen und rief: "Fuhrmann, es kostet dir dein Leben!" Dieser, ganz toll und blind vor Wut, schlägt den Ofen entzwei und so fort, wie der Sperling von einem Ort zum andern fliegt, sein ganzes Hausgerät, Spieglein, Bänke, Tisch und zuletzt die Wände seines Hauses, und kann ihn nicht treffen. Endlich aber erwischte er ihn doch mit der Hand. Da sprach seine Frau: "Soll ich ihn totschlagen?" - "Nein," rief er, "das wäre zu gelind, der soll viel mörderlicher sterben, ich will ihn verschlingen," und nimmt ihn und verschlingt ihn auf einmal. Der Sperling aber fängt an, in seinem Leibe zu flattern, flattert wieder herauf, dem Mann in den Mund. Da steckte er den Kopf heraus und ruft: "Fuhrmann, es kostet dir doch dein Leben!" Der Fuhrmann reicht seiner Frau die Hacke und spricht: "Frau, schlag mir den Vogel im Munde tot!" Die Frau schlägt zu, schlägt aber fehl und schlägt dem Fuhrmann gerade auf den Kopf, so daß er tot hinfällt. Der Sperling aber fliegt auf und davon.
Diese Folge wird Ihnen von Podbean.com zur Verfügung gestellt.

Der goldene Vogel

Monday Aug 12, 2024

Monday Aug 12, 2024

Es war vor Zeiten ein König, der hatte einen schönen Lustgarten hinter seinem Schloß, darin stand ein Baum, der goldene Äpfel trug. Als die Äpfel reiften, wurden sie gezählt, aber gleich den nächsten Morgen fehlte einer. Das ward dem König gemeldet, und er befahl, daß alle Nächte unter dem Baume Wache sollte gehalten werden. Der König hatte drei Söhne, davon schickte er den ältesten bei einbrechender Nacht in den Garten. Wie es aber Mitternacht war, konnte er sich des Schlafes nicht erwehren, und am nächsten Morgen fehlte wieder ein Apfel. In der folgenden Nacht mußte der zweite Sohn wachen, aber dem erging es nicht besser. Als es zwölf Uhr geschlagen hatte, schlief er ein, und morgens fehlte ein Apfel. Jetzt kam die Reihe zu wachen an den dritten Sohn; der war auch bereit, aber der König traute ihm nicht viel zu und meinte, er würde noch weniger ausrichten als seine Brüder; endlich aber gestattete er es doch. Der Jüngling legte sich also unter den Baum, wachte und ließ den Schlaf nicht Herr werden. Als es zwölf schlug, so rauschte etwas durch die Luft, und er sah im Mondschein einen Vogel daherfliegen, dessen Gefieder ganz von Gold glänzte. Der Vogel ließ sich auf dem Baume nieder und hatte eben einen Apfel abgepickt, als der Jüngling einen Pfeil nach ihm abschoß. Der Vogel entfloh, aber der Pfeil hatte sein Gefieder getroffen, und eine seiner goldenen Federn fiel herab. Der Jüngling hob sie auf, brachte sie am andern Morgen dem König und erzählte ihm, was er in der Nacht gesehen hatte. Der König versammelte seinen Rat, und jedermann erklärte, eine Feder wie diese sei mehr wert als das gesamte Königreich. "Ist die Feder so kostbar," erklärte der König, "so hilft mir die eine auch nichts, sondern ich will und muß den ganzen Vogel haben."
Der älteste Sohn machte sich auf den Weg, verließ sich auf seine Klugheit und meinte den goldenen Vogel schon zu finden. Wie er eine Strecke gegangen war, sah er an dem Rande eines Waldes einen Fuchs sitzen, legte seine Flinte an und zielte auf ihn. Der Fuchs rief: "Schieß mich nicht, ich will dir dafür einen guten Rat geben. Du bist auf dem Weg nach dem goldenen Vogel und wirst heute abend in ein Dorf kommen, wo zwei Wirtshäuser einander gegenüberstehen. Eins ist hell erleuchtet, und es geht darin lustig her; da kehr aber nicht ein, sondern geh ins andere, wenn es dich auch schlecht ansieht." Wie kann mir wohl so ein albernes Tier einen vernünftigen Rat erteilen! dachte der Königssohn und drückte los, aber er fehlte den Fuchs, der den Schwanz streckte und schnell in den Wald lief. Darauf setzte er seinen Weg fort und kam abends in das Dorf, wo die beiden Wirtshäuser standen. In dem einen ward gesungen und gesprungen, das andere hatte ein armseliges betrübtes Ansehen. Ich wäre wohl ein Narr, dachte er, wenn ich in das lumpige Wirtshaus ginge und das schöne liegen ließ. Also ging er in das lustige ein, lebte da in Saus und Braus und vergaß den Vogel, seinen Vater und alle guten Lehren.
Als eine Zeit verstrichen und der älteste Sohn immer und immer nicht nach Haus gekommen war, so machte sich der zweite auf den Weg und wollte den goldenen Vogel suchen. Wie dem Ältesten begegnete ihm der Fuchs und gab ihm den guten Rat, den er nicht achtete. Er kam zu den beiden Wirtshäusern, wo sein Bruder am Fenster des einen stand, aus dem der Jubel erschallte, und ihn anrief. Er konnte nicht widerstehen, ging hinein und lebte nur seinen Lüsten.
Wiederum verstrich eine Zeit, da wollte der jüngste Königssohn ausziehen und sein Heil versuchen, der Vater aber wollte es nicht zulassen. "Es ist vergeblich," sprach er, "der wird den goldenen Vogel noch weniger finden als seine Brüder, und wenn ihm ein Unglück zustößt, so weiß er sich nicht zu helfen, es fehlt ihm am Besten." Doch endlich, wie keine Ruhe mehr da war, ließ er ihn ziehen. Vor dem Walde saß wieder der Fuchs, bat um sein Leben und erteilte den guten Rat. Der Jüngling war gutmütig und sagte: "Sei ruhig, Füchslein, ich tue dir nichts zuleid!" - "Es soll dich nicht gereuen," antwortete der Fuchs, "und damit du schneller fortkommst, so steig hinten auf meinen Schwanz." Und kaum hat er sich aufgesetzt, so fing der Fuchs an zu laufen und ging's über Stock und Stein, daß die Haare im Winde pfiffen. Als sie zu dem Dorf kamen, stieg der Jüngling ab, befolgte den guten Rat und kehrte, ohne sich umzusehen, in das geringe Wirtshaus ein, wo er ruhig übernachtete. Am andern Morgen, wie er auf das Feld kam, saß da schon der Fuchs und sagte: "Ich will dir weiter sagen, was du zu tun hast. Geh du immer gerade aus, endlich wirst du an ein Schloß kommen, vor dem eine ganze Schar Soldaten liegt; aber kümmre dich nicht darum, denn sie werden alle schlafen und schnarchen: geh mittendurch und geradewegs in das Schloß hinein, und geh durch alle Stuben. Zuletzt wirst du in eine Kammer kommen, wo ein goldener Vogel in einem hölzernen Käfig hängt. Nebenan steht ein leerer Goldkäfig zum Prunk, aber hüte dich, daß du den Vogel nicht aus seinem schlechten Käfig herausnimmst und in den prächtigen tust, sonst möchte es dir schlimm ergehen." Nach diesen Worten streckte der Fuchs wieder seinen Schwanz aus, und der Königssohn setzte sich auf. Da ging's über Stock und Stein, daß die Haare im Winde pfiffen. Als er bei dem Schloß angelangt war, fand er alles so, wie der Fuchs gesagt hatte. Der Königssohn kam in die Kammer, wo der goldene Vogel in einem hölzernen Käfig stand, und ein goldener stand daneben; die drei goldenen Äpfel aber lagen in der Stube umher. Da dachte er, es wäre lächerlich, wenn er den schönen Vogel in dem gemeinen und häßlichen Käfig lassen wollte, öffnete die Türe, packte ihn und setzte ihn in den goldenen. In dem Augenblick aber tat der Vogel einen durchdringenden Schrei. Die Soldaten erwachten, stürzten herein und führten ihn ins Gefängnis. Den andern Morgen wurde er vor ein Gericht gestellt und, da er alles bekannte, zum Tode verurteilt. Doch sagte der König, er wollte ihm unter einer Bedingung das Leben schenken, wenn er ihm nämlich das goldene Pferd brächte, welches noch schneller liefe als der Wind, und dann sollte er obendrein zur Belohnung den goldenen Vogel erhalten.
Der Königssohn machte sich auf den Weg, seufzte aber und war traurig, denn wo sollte er das goldene Pferd finden? Da sah er auf einmal seinen alten Freund, den Fuchs, an dem Wege sitzen. "Siehst du," sprach der Fuchs, "so ist es gekommen, weil du mir nicht gehört hast! Doch sei guten Mutes, ich will mich deiner annehmen und dir sagen, wie du zu dem goldenen Pferd gelangst. Du mußt gerades Weges fortgehen, so wirst du zu einem Schloß kommen, wo das Pferd im Stalle steht. Vor dem Stall werden die Stallknechte liegen, aber sie werden schlafen und schnarchen, und du kannst geruhig das goldene Pferd herausführen. Aber eins mußt du in acht nehmen: leg ihm den schlechten Sattel von Holz und Leder auf und ja nicht den goldenen, der dabeihängt, sonst wird es dir schlimm ergehen." Dann streckte der Fuchs seinen Schwanz aus, der Königssohn setzte sich auf, und es ging über Stock und Stein, daß die Haare im Winde pfiffen. Alles traf so ein, wie der Fuchs gesagt hatte, er kam in den Stall, wo das goldene Pferd stand. Als er ihm aber den schlechten Sattel auflegen wollte, so dachte er: Ein so schönes Tier wird verschändet, wenn ich ihm nicht den guten Sattel auflege, der ihm gebührt. Kaum aber berührte der goldene Sattel das Pferd, so fing es an laut zu wiehern. Die Stallknechte erwachten, ergriffen den Jüngling und warfen ihn ins Gefängnis. Am andern Morgen wurde er vom Gerichte zum Tode verurteilt, doch versprach ihm der König das Leben zu schenken und dazu das goldene Pferd, wenn er die schöne Königstochter vom goldenen Schlosse herbeischaffen könnte.
Mit schwerem Herzen machte sich der Jüngling auf den Weg, doch zu seinem Glück fand er bald den treuen Fuchs. "Ich sollte dich nur deinem Unglück überlassen," sagte der Fuchs, "aber ich habe Mitleiden mit dir und will dir noch einmal aus deiner Not helfen. Dein Weg führt dich gerade zu dem goldenen Schlosse. Abends wirst du anlangen, und nachts, wenn alles still ist, dann geht die schöne Königstochter ins Badehaus, um da zu baden. Und wenn sie hineingeht, so spring auf sie zu und gib ihr einen Kuß, dann folgt sie dir, und kannst sie mit dir fortführen; nur dulde nicht, daß sie vorher von ihren Eltern Abschied nimmt, sonst kann es dir schlimm ergehen." Dann streckte der Fuchs seinen Schwanz, der Königssohn setzte sich auf, und so ging es über Stock und Stein, daß die Haare im Winde pfiffen. Als er beim goldenen Schloß ankam, war es so, wie der Fuchs gesagt hatte. Er wartete bis um Mitternacht, als alles in tiefem Schlaf lag und die schöne Jungfrau ins Badehaus ging, da sprang er hervor und gab ihr einen Kuß. Sie sagte, sie wollte gerne mit ihm gehen, sie bat ihn aber flehentlich und mit Tränen, er möchte ihr erlauben, vorher von ihren Eltern Abschied zu nehmen. Er widerstand anfangs ihren Bitten, als sie aber immer mehr weinte und ihm zu Füßen fiel, so gab er endlich nach. Kaum war die Jungfrau zu dem Bette ihres Vaters getreten, so wachte er und alle andern, die im Schlosse waren, auf, und der Jüngling ward festgehalten und ins Gefängnis gesetzt.
Am andern Morgen sprach der König zu ihm: "Dein Leben ist verwirkt, und du kannst bloß Gnade finden, wenn du den Berg abträgst, der vor meinen Fenstern liegt und über welchen ich nicht hinaussehen kann, und das mußt du binnen acht Tagen zustande bringen. Gelingt dir das, so sollst du meine Tochter zur Belohnung haben." Der Königssohn fing an, grub und schaufelte ohne abzulassen, als er aber nach sieben Tagen sah, wie wenig er ausgerichtet hatte und alle seine Arbeit so gut wie nichts war, so fiel er in große Traurigkeit und gab alle Hoffnung auf. Am Abend des siebenten Tages aber erschien der Fuchs und sagte: "Du verdienst nicht, daß ich mich deiner annehme, aber geh nur hin und lege dich schlafen, ich will die Arbeit für dich tun." Am andern Morgen, als er erwachte und zum Fenster hinaussah, so war der Berg verschwunden. Der Jüngling eilte voll Freude zum König und meldete ihm, daß die Bedingung erfüllt wäre, und der König mochte wollen oder nicht, er mußte Wort halten und ihm seine Tochter geben.
Nun zogen die beiden zusammen fort, und es währte nicht lange, so kam der treue Fuchs zu ihnen. "Das Beste hast du zwar," sagte er, "aber zu der Jungfrau aus dem goldenen Schloß gehört auch das goldene Pferd." - "Wie soll ich das bekommen?" fragte der Jüngling. "Das will ich dir sagen," antwortete der Fuchs, "zuerst bring dem Könige, der dich nach dem goldenen Schlosse geschickt hat, die schöne Jungfrau. Da wird unerhörte Freude sein, sie werden dir das goldene Pferd gerne geben und werden dir's vorführen. Setz dich alsbald auf und reiche allen zum Abschied die Hand herab, zuletzt der schönen Jungfrau, und wenn du sie gefaßt hast, so zieh sie mit einem Schwung hinauf und jage davon, und niemand ist imstande, dich einzuholen, denn das Pferd läuft schneller als der Wind."
Alles wurde glücklich vollbracht, und der Königssohn führte die schöne Jungfrau auf dem goldenen Pferde fort. Der Fuchs blieb nicht zurück und sprach zu dem Jüngling: "Jetzt will ich dir auch zu dem goldenen Vogel verhelfen. Wenn du nahe bei dem Schlosse bist, wo sich der Vogel befindet, so laß die Jungfrau absitzen, und ich will sie in meine Obhut nehmen. Dann reit mit dem goldenen Pferd in den Schloßhof; bei dem Anblick wird große Freude sein, und sie werden dir den goldenen Vogel herausbringen. Wie du den Käfig in der Hand hast, so jage zu uns zurück und hole dir die Jungfrau wieder ab." Als der Anschlag geglückt war und der Königssohn mit seinen Schätzen heimreiten wollte, so sagte der Fuchs: "Nun sollst du mich für meinen Beistand belohnen." - "Was verlangst du dafür?" fragte der Jüngling. "Wenn wir dort in den Wald kommen, so schieß mich tot und hau mir Kopf und Pfoten ab." - "Das wäre eine schöne Dankbarkeit!" sagte der Königssohn, "das kann ich dir unmöglich gewähren." Sprach der Fuchs: "Wenn du es nicht tun willst, so muß ich dich verlassen; ehe ich aber fortgehe, will ich dir noch einen guten Rat geben. Vor zwei Stücken hüte dich, kauf kein Galgenfleisch und setze dich an keinen Brunnenrand!" Damit lief er in den Wald.
Der Jüngling dachte: "Das ist ein wunderliches Tier, das seltsame Grillen hat. Wer wird Galgenfleisch kaufen! Und die Lust, mich an einen Brunnenrand zu setzen, ist mir noch niemals gekommen." Er ritt mit der schönen Jungfrau weiter, und sein Weg führte ihn wieder durch das Dorf, in welchem seine beiden Brüder geblieben waren. Da war großer Auflauf und Lärmen, und als er fragte, was da los wäre, hieß es, es sollten zwei Leute aufgehängt werden. Als er näher hinzukam, sah er, daß es seine Brüder waren, die allerhand schlimme Streiche verübt und all ihr Gut vertan hatten. Er fragte, ob sie nicht könnten freigemacht werden. "Wenn Ihr für sie bezahlen wollt," antworteten die Leute, "aber was wollt Ihr an die schlechten Menschen Euer Geld hängen und sie loskaufen." Er besann sich aber nicht, zahlte für sie, und als sie freigegeben waren, so setzten sie die Reise gemeinschaftlich fort.
Sie kamen in den Wald, wo ihnen der Fuchs zuerst begegnet war, und da es darin kühl und lieblich war und die Sonne heiß brannte, so sagten die beiden Brüder: "Laßt uns hier an dem Brunnen ein wenig ausruhen, essen und trinken!" Er willigte ein, und während des Gespräches vergaß er sich, setzte sich an den Brunnenrand und versah sich nichts Arges. Aber die beiden Brüder warfen ihn rückwärts in den Brunnen, nahmen die Jungfrau, das Pferd und den Vogel, und zogen heim zu ihrem Vater. "Da bringen wir nicht bloß den goldenen Vogel," sagten sie, "wir haben auch das goldene Pferd und die Jungfrau von dem goldenen Schlosse erbeutet." Da war große Freude, aber das Pferd fraß nicht, der Vogel pfiff nicht, und die Jungfrau, die saß und weinte.
Der jüngste Bruder aber war nicht umgekommen. Der Brunnen war zum Glück trocken, und er fiel auf weiches Moos, ohne Schaden zu nehmen, konnte aber nicht wieder heraus. Auch in dieser Not verließ ihn der treue Fuchs nicht, kam zu ihm herabgesprungen und schalt ihn, daß er seinen Rat vergessen hätte. "Ich kann's aber doch nicht lassen," sagte er, "ich will dir wieder an das Tageslicht helfen." Er sagte ihm, er sollte seinen Schwanz anpacken und sich fest daran halten, und zog ihn dann in die Höhe. "Noch bist du nicht aus aller Gefahr," sagte der Fuchs, "deine Brüder waren deines Todes nicht gewiß und haben den Wald mit Wächtern umstellt, die sollen dich töten, wenn du dich sehen ließest." Da saß ein armer Mann am Weg, mit dem vertauschte der Jüngling die Kleider und gelangte auf diese Weise an des Königs Hof. Niemand erkannte ihn, aber der Vogel fing an zu pfeifen, das Pferd fing an zu fressen, und die schöne Jungfrau hörte Weinens auf. Der König fragte verwundert: "Was hat das zu bedeuten?" Da sprach die Jungfrau: "Ich weiß es nicht, aber ich war so traurig und nun bin ich so fröhlich. Es ist mir, als wäre mein rechter Bräutigam gekommen." Sie erzählte ihm alles, was geschehen war, obgleich die andern Brüder ihr den Tod angedroht hatten, wenn sie etwas verraten würde. Der König hieß alle Leute vor sich bringen, die in seinem Schlosse waren, da kam auch der Jüngling als ein armer Mann in seinen Lumpenkleidern, aber die Jungfrau erkannte ihn gleich und fiel ihm um den Hals. Die gottlosen Brüder wurden ergriffen und hingerichtet, er aber ward mit der schönen Jungfrau vermählt und zum Erben des Königs bestimmt.
Aber wie ist es dem armen Fuchs ergangen? Lange danach ging der Königssohn einmal wieder in den Wald. Da begegnete ihm der Fuchs und sagte: "Du hast nun alles, was du dir wünschen kannst, aber mit meinem Unglück will es kein Ende nehmen, und es steht doch in deiner Macht, mich zu erlösen," und abermals bat er flehentlich, er möchte ihn totschießen und ihm Kopf und Pfoten abhauen. Also tat er's, und kaum war es geschehen, so verwandelte sich der Fuchs in einen Menschen und war niemand anders als der Bruder der schönen Königstochter, der endlich von dem Zauber, der auf ihm lag, erlöst war. Und nun fehlte nichts mehr zu ihrem Glück, solange sie lebten.
Diese Folge wird Ihnen von Podbean.com zur Verfügung gestellt.

Der liebste Roland

Monday Aug 12, 2024

Monday Aug 12, 2024

Es war einmal eine Frau, die war eine rechte Hexe, und hatte zwei Töchter, eine hässlich und böse, und die liebte sie, weil sie ihre rechte Tochter war, und eine schön und gut, die hasste sie, weil sie ihre Stieftochter war.
Zu einer Zeit hatte die Stieftochter eine schöne Schürze, die der andern gefiel, so dass sie neidisch war und ihrer Mutter sagte, sie wollte und müsste die Schürze haben. "Sei still, mein Kind," sprach die Alte, "du sollst sie auch haben. Deine Stiefschwester hat längst den Tod verdient, heute nacht, wenn sie schläft, so komm und ich haue ihr den Kopf ab. Sorge nur, dass du hinten ins Bett zu liegen kommst, und schieb sie recht vornen hin."
Um das arme Mädchen war es geschehen, wenn es nicht gerade in einer Ecke gestanden und alles mit angehört hätte. Es durfte den ganzen Tag nicht zur Türe hinaus, und als Schlafenszeit gekommen war, musste es zuerst ins Bett steigen, damit sie sich hinten hinlegen konnte; als sie aber eingeschlafen war, da schob es sie sachte vornen hin und nahm den Platz hinten an der Wand. In der Nacht kam die Alte geschlichen, in der rechten Hand hielt sie eine Axt, mit der linken fühlte sie erst, ob auch jemand vornen lag, und dann fasste sie die Axt mit beiden Händen, hieb und hieb ihrem eigenen Kind den Kopf ab. Als sie fortgegangen war, stand das Mädchen auf und ging zu seinem Liebsten, der Roland hiess, und klopfte an seine Türe. Als er herauskam, sprach sie zu ihm: "Höre, liebster Roland, wir müssen eilig flüchten, die Stiefmutter hat mich totschlagen wollen, hat aber ihr eigenes Kind getroffen. Kommt der Tag, und sie sieht, was sie getan hat, so sind wir verloren."
"Aber ich rate dir," sagte Roland, "dass du erst ihren Zauberstab wegnimmst, sonst können wir uns nicht retten, wenn sie uns nachsetzt und verfolgt." Das Mädchen holte den Zauberstab, und dann nahm es den toten Kopf und tröpfelte drei Blutstropfen auf die Erde, einen vors Bett, einen in die Küche und einen auf die Treppe. Darauf eilte es mit seinem Liebsten fort.
Als nun am Morgen die alte Hexe aufgestanden war, rief sie ihre Tochter, und wollte ihr die Schürze geben, aber sie kam nicht. Da rief sie: "Wo bist du?"
"Ei, hier auf der Treppe, da kehr ich," antwortete der eine Blutstropfen. Die Alte ging hinaus, sah aber niemand auf der Treppe und rief abermals: "Wo bist du?"
"Ei, hier in der Küche, da wärm ich mich," rief der zweite Blutstropfen. Sie ging in die Küche, aber sie fand niemand. Da rief sie noch einmal "wo bist du?"
"Ach, hier im Bette, da schlaf ich," rief der dritte Blutstropfen. Sie ging in die Kammer ans Bett. Was sah sie da? Ihr eigenes Kind, das in seinem Blute schwamm, und dem sie selbst den Kopf abgehauen hatte.
Die Hexe geriet in Wut, sprang ans Fenster, und da sie weit in die Welt schauen konnte, erblickte sie ihre Stieftochter, die mit ihrem Liebsten Roland forteilte. "Das soll euch nichts helfen," rief sie, "wenn ihr auch schon weit weg seid, ihr entflieht mir doch nicht."
Sie zog ihre Meilenstiefel an, in welchen sie mit jedem Schritt eine Stunde machte, und es dauerte nicht lange, so hatte sie beide eingeholt. Das Mädchen aber, wie es die Alte daherschreiten sah, verwandelte mit dem Zauberstab seinen Liebsten Roland in einen See, sich selbst aber in eine Ente, die mitten auf dem See schwamm. Die Hexe stellte sich ans Ufer, warf Brotbrocken hinein und gab sich alle Mühe, die Ente herbeizulocken; aber die Ente liess sich nicht locken, und die Alte musste abends unverrichteter Sache wieder umkehren.
Darauf nahm das Mädchen mit seinem Liebsten Roland wieder die natürliche Gestalt an, und sie gingen die ganze Nacht weiter bis zu Tagesanbruch. Da verwandelte sich das Mädchen in eine schöne Blume, die mitten in einer Dornhecke stand, seinen Liebsten Roland aber in einen Geigenspieler. Nicht lange, so kam die Hexe herangeschritten und sprach zu dem Spielmann: "Lieber Spielmann, darf ich mir wohl die schöne Blume abbrechen?" - "0 ja," antwortete er, "ich will dazu aufspielen." Als sie nun mit Hast in die Hecke kroch und die Blume brechen wollte, denn sie wusste wohl, wer die Blume war, so fing er an aufzuspielen, und, sie mochte wollen oder nicht, sie musste tanzen, denn es war ein Zaubertanz. Je schneller er spielte, desto gewaltigere Sprünge musste sie machen, und die Dornen rissen ihr die Kleider vom Leibe, stachen sie blutig und wund, und da er nicht aufhörte, musste sie so lange tanzen, bis sie tot liegen blieb.
Als sie nun erlöst waren, sprach Roland: "Nun will ich zu meinem Vater gehen und die Hochzeit bestellen." - "So will ich derweil hier bleiben," sagte das Mädchen, "und auf dich warten, und damit mich niemand erkennt, will ich mich in einen roten Feldstein verwandeln." Da ging Roland fort, und das Mädchen stand als ein roter Stein auf dem Felde und wartete auf seinen Liebsten.
Als aber Roland heim kam, geriet er in die Fallstricke einer andern, die es dahin brachte, dass er das Mädchen vergass. Das arme Mädchen stand lange Zeit, als er aber endlich gar nicht wiederkam, so ward es traurig und verwandelte sich in eine Blume und dachte: "Es wird ja wohl einer dahergehen und mich umtreten."
Es trug sich aber zu, dass ein Schäfer auf dem Felde seine Schafe hütete und die Blume sah, und weil sie so schön war, so brach er sie ab, nahm sie mit sich, und legte sie in seinen Kasten. Von der Zeit ging es wunderlich in des Schäfers Hause zu. Wenn er morgens aufstand, so war schon alle Arbeit getan: die Stube war gekehrt, Tische und Bänke abgeputzt, Feuer auf den Herd gemacht und Wasser getragen; und mittags, wenn er heim kam, war der Tisch gedeckt und ein gutes Essen aufgetragen. Er konnte nicht begreifen, wie das zuging, denn er sah niemals einen Menschen in seinem Haus, und es konnte sich auch niemand in der kleinen Hütte versteckt haben. Die gute Aufwartung gefiel ihm freilich, aber zuletzt ward ihm doch angst, so dass er zu einer weisen Frau ging und sie um Rat fragte. Die weise Frau sprach: "Es"es steckt Zauberei dahinter; gib einmal morgens in aller Frühe acht, ob sich etwas in der Stube regt, und wenn du etwas siehst, es mag sein, was es will, so wirf schnell ein weisses Tuch darüber, dann wird der Zauber gehemmt." Der Schäfer tat, wie sie gesagt hatte, und am andern Morgen, eben als der Tag anbrach, sah er, wie sich der Kasten auftat und die Blume herauskam.
Schnell sprang er hinzu und warf ein weisses Tuch darüber. Alsbald war die Verwandlung vorbei, und ein schönes Mädchen stand vor ihm, das bekannte ihm, dass es die Blume gewesen wäre und seinen Haushalt bisher besorgt hätte. Es erzählte ihm sein Schicksal, und weil es ihm gefiel, fragte er, ob es ihn heiraten wollte, aber es antwortete "nein," denn es wollte seinem Liebsten Roland, obgleich er es verlassen hatte, doch treu bleiben: aber es versprach, dass es nicht weggehen, sondern ihm fernerhin haushalten wollte.
Nun kam die Zeit heran, dass Roland Hochzeit halten sollte: da ward nach altem Brauch im Lande bekanntgemacht, dass alle Mädchen sich einfinden und zu Ehren des Brautpaars singen sollten. Das treue Mädchen, als es davon hörte, ward so traurig, dass es meinte, das Herz im Leibe würde ihm zerspringen, und wollte nicht hingehen, aber die andern kamen und holten es herbei. Wenn aber die Reihe kam, dass es singen sollte, so trat es zurück, bis es allein noch übrig war, da konnte es nicht anders.
Aber wie es seinen Gesang anfing, und er zu Rolands Ohren kam, so sprang er auf und rief: "Die Stimme kenne ich, das ist die rechte Braut, eine andere begehr ich nicht." Alles, was er vergessen hatte und ihm aus dem Sinn verschwunden war, das war plötzlich in sein Herz wieder heimgekommen. Da hielt das treue Mädchen Hochzeit mit seinem Liebsten Roland, und war sein Leid zu Ende und fing seine Freude an.
Diese Folge wird Ihnen von Podbean.com zur Verfügung gestellt.

Rumpelstilzchen

Monday Aug 12, 2024

Monday Aug 12, 2024

Es war einmal ein Müller, der war arm, aber er hatte eine schöne Tochter. Nun traf es sich, daß er mit dem König zu sprechen kam, und um sich ein Ansehen zu geben, sagte er zu ihm: "Ich habe eine Tochter, die kann Stroh zu Gold spinnen." Der König sprach zum Müller: "Das ist eine Kunst, die mir wohl gefällt, wenn deine Tochter so geschickt ist, wie du sagst, so bring sie morgen in mein Schloß, da will ich sie auf die Probe stellen."
Als nun das Mädchen zu ihm gebracht ward, führte er es in eine Kammer, die ganz voll Stroh lag, gab ihr Rad und Haspel und sprach: "Jetzt mache dich an die Arbeit, und wenn du diese Nacht durch bis morgen früh dieses Stroh nicht zu Gold versponnen hast, so mußt du sterben." Darauf schloß er die Kammer selbst zu, und sie blieb allein darin. Da saß nun die arme Müllerstochter und wußte um ihr Leben keinen Rat: sie verstand gar nichts davon, wie man Stroh zu Gold spinnen konnte, und ihre Angst ward immer größer, daß sie endlich zu weinen anfing. Da ging auf einmal die Türe auf, und trat ein kleines Männchen herein und sprach: "Guten Abend, Jungfer Müllerin, warum weint Sie so sehr?"
"Ach," antwortete das Mädchen, "ich soll Stroh zu Gold spinnen und verstehe das nicht." Sprach das Männchen: "Was gibst du mir, wenn ich dirs spinne?" - "Mein Halsband," sagte das Mädchen. Das Männchen nahm das Halsband, setzte sich vor das Rädchen, und schnurr, schnurr, schnurr, dreimal gezogen, war die Spule voll. Dann steckte es eine andere auf, und schnurr, schnurr, schnurr, dreimal gezogen, war auch die zweite voll: und so gings fort bis zum Morgen, da war alles Stroh versponnen, und alle Spulen waren voll Gold.
Bei Sonnenaufgang kam schon der König, und als er das Gold erblickte, erstaunte er und freute sich, aber sein Herz ward nur noch geldgieriger. Er ließ die Müllerstochter in eine andere Kammer voll Stroh bringen, die noch viel größer war, und befahl ihr, das auch in einer Nacht zu spinnen, wenn ihr das Leben lieb wäre. Das Mädchen wußte sich nicht zu helfen und weinte, da ging abermals die Türe auf, und das kleine Männchen erschien und sprach: "Was gibst du mir, wenn ich dir das Stroh zu Gold spinne?"
"Meinen Ring von dem Finger," antwortete das Mädchen. Das Männchen nahm den Ring, fing wieder an zu schnurren mit dem Rade und hatte bis zum Morgen alles Stroh zu glänzendem Gold gesponnen. Der König freute sich über die Maßen bei dem Anblick, war aber noch immer nicht Goldes satt, sondern ließ die Müllerstochter in eine noch größere Kammer voll Stroh bringen und sprach: "Die mußt du noch in dieser Nacht verspinnen: gelingt dir's aber, so sollst du meine Gemahlin werden." - "Wenn's auch eine Müllerstochter ist," dachte er, "eine reichere Frau finde ich in der ganzen Welt nicht." Als das Mädchen allein war, kam das Männlein zum drittenmal wieder und sprach: "Was gibst du mir, wenn ich dir noch diesmal das Stroh spinne?" - "Ich habe nichts mehr, das ich geben könnte," antwortete das Mädchen. "So versprich mir, wenn du Königin wirst, dein erstes Kind." - "Wer weiß, wie das noch geht," dachte die Müllerstochter und wußte sich auch in der Not nicht anders zu helfen; sie versprach also dem Männchen, was es verlangte, und das Männchen spann dafür noch einmal das Stroh zu Gold. Und als am Morgen der König kam und alles fand, wie er gewünscht hatte, so hielt er Hochzeit mit ihr, und die schöne Müllerstochter ward eine Königin.
Über ein Jahr brachte sie ein schönes Kind zur Welt und dachte gar nicht mehr an das Männchen: da trat es plötzlich in ihre Kammer und sprach: "Nun gib mir, was du versprochen hast." Die Königin erschrak und bot dem Männchen alle Reichtümer des Königreichs an, wenn es ihr das Kind lassen wollte: aber das Männchen sprach: "Nein, etwas Lebendes ist mir lieber als alle Schätze der Welt." Da fing die Königin so an zu jammern und zu weinen, daß das Männchen Mitleiden mit ihr hatte: "Drei Tage will ich dir Zeit lassen," sprach er, "wenn du bis dahin meinen Namen weißt, so sollst du dein Kind behalten."
Nun besann sich die Königin die ganze Nacht über auf alle Namen, die sie jemals gehört hatte, und schickte einen Boten über Land, der sollte sich erkundigen weit und breit, was es sonst noch für Namen gäbe. Als am andern Tag das Männchen kam, fing sie an mit Kaspar, Melchior, Balzer, und sagte alle Namen, die sie wußte, nach der Reihe her, aber bei jedem sprach das Männlein: "So heiß ich nicht." Den zweiten Tag ließ sie in der Nachbarschaft herumfragen, wie die Leute da genannt würden, und sagte dem Männlein die ungewöhnlichsten und seltsamsten Namen vor "Heißt du vielleicht Rippenbiest oder Hammelswade oder Schnürbein?" Aber es antwortete immer: "So heiß ich nicht."
Den dritten Tag kam der Bote wieder zurück und erzählte: "Neue Namen habe ich keinen einzigen finden können, aber wie ich an einen hohen Berg um die Waldecke kam, wo Fuchs und Has sich gute Nacht sagen, so sah ich da ein kleines Haus, und vor dem Haus brannte ein Feuer, und um das Feuer sprang ein gar zu lächerliches Männchen, hüpfte auf einem Bein und schrie:
"Heute back ich,Morgen brau ich,Übermorgen hol ich der Königin ihr Kind;Ach, wie gut ist, daß niemand weiß,daß ich Rumpelstilzchen heiß!"
Da könnt ihr denken, wie die Königin froh war, als sie den Namen hörte, und als bald hernach das Männlein hereintrat und fragte: "Nun, Frau Königin, wie heiß ich?" fragte sie erst: "Heißest du Kunz?" - "Nein." - "Heißest du Heinz?" - "Nein." - "Heißt du etwa Rumpelstilzchen?"
"Das hat dir der Teufel gesagt, das hat dir der Teufel gesagt," schrie das Männlein und stieß mit dem rechten Fuß vor Zorn so tief in die Erde, daß es bis an den Leib hineinfuhr, dann packte es in seiner Wut den linken Fuß mit beiden Händen und riß sich selbst mitten entzwei.
Diese Folge wird Ihnen von Podbean.com zur Verfügung gestellt.

Monday Aug 12, 2024

Es waren einmal drei Brüder, die waren immer tiefer in Armut geraten, und endlich war die Not so groß, daß sie Hunger leiden mußten und nichts mehr zu beißen und zu brechen hatten. Da sprachen sie: "Es kann so nicht bleiben. Es ist besser, wir gehen in die Welt und suchen unser Glück." Sie machten sich also auf und waren schon weite Wege und über viele Grashälmerchen gegangen, aber das Glück war ihnen noch nicht begegnet. Da gelangten sie eines Tags in einen großen Wald, und mitten darin war ein Berg, und als sie näher kamen, so sahen sie, daß der Berg ganz von Silber war. Da sprach der älteste: "Nun habe ich das gewünschte Glück gefunden und verlange kein größeres." Er nahm von dem Silber, soviel er nur tragen konnte, kehrte dann um und ging wieder nach Haus. Die beiden andern aber sprachen: "Wir verlangen vom Glück noch etwas mehr als bloßes Silber," rührten es nicht an und gingen weiter. Nachdem sie abermals ein paar Tage gegangen waren, so kamen sie zu einem Berg, der ganz von Gold war. Der zweite Bruder stand, besann sich und war ungewiß. "Was soll ich tun?" sprach er. "Soll ich mir von dem Golde so viel nehmen, daß ich mein Lebtag genug habe, oder soll ich weitergehen?" Endlich faßte er einen Entschluß, füllte in seine Taschen, was hinein wollte, sagte seinem Bruder Lebewohl und ging heim. Der dritte aber sprach: "Silber und Gold, das rührt mich nicht: Ich will meinem Glück nicht absagen, vielleicht ist mir etwas Besseres beschert." Er zog weiter, und als er drei Tage gegangen war, so kam er in einen Wald, der noch größer war als die vorigen und gar kein Ende nehmen wollte; und da er nichts zu essen und zu trinken fand, so war er nahe daran zu verschmachten. Da stieg er auf einen hohen Baum, ob er da oben Waldes Ende sehen möchte, aber so weit sein Auge reichte, sah er nichts als die Gipfel der Bäume. Da begab er sich, von dem Baume wieder herunterzusteigen, aber der Hunger quälte ihn, und er dachte: Wenn ich nur noch einmal meinen Leib ersättigen könnte. Als er herabkam, sah er mit Erstaunen unter dem Baum einen Tisch, der mit Speisen reichlich besetzt war, die ihm entgegendampften. "Diesmal," sprach er, "ist mein Wunsch zu rechter Zeit erfüllt worden," und ohne zu fragen, wer das Essen gebracht und wer es gekocht hätte, nahte er sich dem Tisch und aß mit Lust, bis er seinen Hunger gestillt hatte. Als er fertig war, dachte er: Es wäre doch schade, wenn das feine Tischtüchlein hier in dem Walde verderben sollte, legte es säuberlich zusammen und steckte es ein. Darauf ging er weiter, und abends, als der Hunger sich wieder regte, wollte er sein Tüchlein auf die Probe stellen, breitete es aus und sagte: "So wünsche ich, daß du abermals mit guten Speisen besetzt wärest," und kaum war. der Wunsch über seine Lippen gekommen, so standen so viele Schüsseln mit dem schönsten Essen darauf, als nur Platz hatten. "Jetzt merke ich," sagte er, "in welcher Küche für mich gekocht wird. Du sollst mir lieber sein als der Berg von Silber und Gold," denn er sah wohl, daß es ein Tüchleindeckdich war. Das Tüchlein war ihm aber doch nicht genug, um sich daheim zur Ruhe zu setzen, sondern er wollte lieber noch in der Welt herumwandern und weiter sein Glück versuchen. Eines Abends traf er in einem einsamen Walde einen schwarzbestaubten Köhler, der brannte da Kohlen und hatte Kartoffeln am Feuer stehen, damit wollte er seine Mahlzeit halten. "Guten Abend, du Schwarzamsel!" sagte er, "wie geht dir's in deiner Einsamkeit?" - "Einen Tag wie den andern," erwiderte der Köhler," und jeden Abend Kartoffeln; hast du Lust dazu und willst mein Gast sein?" - "Schönen Dank!" antwortete der Reisende, "ich will dir die Mahlzeit nicht wegnehmen, du hast auf einen Gast nicht gerechnet, aber wenn du mit mir vorlieb nehmen willst, so sollst du eingeladen sein." - "Wer soll dir anrichten?" sprach der Köhler, "ich sehe, daß du nichts bei dir hast, und ein paar Stunden im Umkreis ist niemand, der dir etwas geben könnte." - "Und doch soll's ein Essen sein," antwortete er, "so gut, wie du noch keins gekostet hast." Darauf holte er sein Tüchlein aus dem Ranzen, breitete es auf die Erde, und sprach: "Tüchlein, deck dich!" und alsbald stand da Gesottenes und Gebratenes und war so warm, als wenn es eben aus der Küche käme. Der Köhler machte große Augen, ließ sich aber nicht lange bitten, sondern langte zu und schob immer größere Bissen in sein schwarzes Maul hinein. Als sie abgegessen hatten, schmunzelte der Köhler und sagte: "Hör, dein Tüchlein hat meinen Beifall, das wäre so etwas für mich in dem Walde, wo mir niemand etwas Gutes kocht. Ich will dir einen Tausch vorschlagen, da in der Ecke hängt ein Soldatenranzen, der zwar alt und unscheinbar ist, in dem aber wunderbare Kräfte stecken; da ich ihn doch nicht mehr brauche, so will ich ihn für das Tüchlein geben." - "Erst muß ich wissen, was das für wunderbare Kräfte sind," erwiderte er. "Das will ich dir sagen," antwortete der Köhler, "wenn du mit der Hand darauf klopfst, so kommt jedesmal ein Gefreiter mit sechs Mann, die haben Ober- und Untergewehr, und was du befiehlst, das vollbringen sie." - "Meinetwegen," sagte er, "wenn's nicht anders sein kann, so wollen wir tauschen," gab dem Köhler das Tüchlein, hob den Ranzen von dem Haken, hing ihn um und nahm Abschied. Als er ein Stück Wegs gegangen war, wollte er die Wunderkräfte seines Ranzens versuchen und klopfte darauf. Alsbald traten die sieben Kriegshelden vor ihn, und der Gefreite sprach: "Was verlangt mein Herr und Gebieter?" - "Marschiert im Eilschritt zu dem Köhler und fordert mein Wunschtüchlein zurück!" Sie machten links um, und gar nicht lange, so brachten sie das Verlangte und hatten es dem Köhler ohne viel zu fragen, abgenommen. Er hieß sie wieder abziehen, ging weiter und hoffte, das Glück würde ihm noch heller scheinen. Bei Sonnenuntergang kam er zu einem andern Köhler, der bei dem Feuer seine Abendmahlzeit bereitete. "Willst du mit mir essen," sagte der rußige Geselle, "Kartoffeln mit Salz, aber ohne Schmalz, so setz dich zu mir nieder." - "Nein," antwortete er, "für diesmal sollst du mein Gast sein," deckte sein Tüchlein auf, das gleich mit den schönsten Gerichten besetzt war. Sie aßen und tranken zusammen und waren guter Dinge. Nach dem Essen sprach der Kohlenbrenner: "Da oben auf der Kammbank liegt ein altes, abgegriffenes Hütlein, das hat seltsame Eigenschaften: Wenn das einer aufsetzt und dreht es auf dem Kopf herum, so gehen die Feldschlangen, als wären zwölfe nebeneinander aufgeführt und schießen alles darnieder, daß niemand dagegen bestehen kann. Mir nützt das Hütlein nichts, und für dein Tischtuch will ich's wohl hingeben." - "Das läßt sich hören," antwortete er, nahm das Hütlein, setzte es auf und ließ sein Tüchlein zurück. Kaum aber war er ein Stück Wegs gegangen, so klopfte er auf seinen Ranzen, und seine Soldaten mußten ihm das Tüchlein wieder holen. Es kommt eins zum andern, dachte er, und es ist mir, als wäre mein Glück noch nicht zu Ende. Seine Gedanken hatten ihn auch nicht betrogen. Nachdem er abermals einen Tag gegangen war, kam er zu einem dritten Köhler, der ihn nicht anders als die vorigen zu ungeschmälzten Kartoffeln einlud. Er ließ ihn aber von seinem Wunschtüchlein mitessen, und das schmeckte dem Köhler so gut, daß er ihn zuletzt ein Hörnlein dafür bot, das noch ganz andere Eigenschaften hatte als das Hütlein. Wenn man darauf blies, so fielen alle Mauern und Festungswerke, endlich alle Städte und Dörfer übern Haufen. Er gab dem Köhler zwar das Tüchlein dafür, ließ sich's aber hernach von seiner Mannschaft wieder abfordern, so daß er endlich Ranzen, Hütlein und Hörnlein beisammen hatte. "Jetzt," sprach er, "bin ich ein gemachter Mann, und es ist Zeit, daß ich heimkehre und sehe, wie es meinen Brüdern ergeht."
Als er daheim anlangte, hatten sich seine Brüder von ihrem Silber und Gold ein schönes Haus gebaut und lebten in Saus und Braus. Er trat bei ihnen ein, weil er aber in einem halb zerrissenen Rock kam, das schäbige Hütlein auf dem Kopf und den alten Ranzen auf dem Rücken, so wollten sie ihn nicht für ihren Bruder anerkennen. Sie spotteten und sagten: "Du gibst dich für unsern Bruder aus, der Silber und Gold verschmähte und für sich ein besseres Glück verlangte. Der kommt gewiß in voller Pracht als ein mächtiger König angefahren, nicht als ein Bettelmann," und jagten ihn zur Türe hinaus. Da geriet er in Zorn, klopfte auf seinen Ranzen so lange, bis hundertundfünfzig Mann in Reih und Glied vor ihm standen. Er befahl ihnen, das Haus seiner Brüder zu umzingeln, und zwei sollten Haselgerten mitnehmen und den beiden Übermütigen die Haut auf dem Leib so lange weich gerben, bis sie wüßten, wer er wäre. Es entstand ein gewaltiger Lärm, die Leute liefen zusammen und wollten den beiden in der Not Beistand leisten, aber sie konnten gegen die Soldaten nichts ausrichten. Es geschah endlich dem König die Meldung davon, der ward unwillig und ließ einen Hauptmann mit seiner Schar ausrücken, der sollte den Ruhestörer aus der Stadt jagen. Aber der Mann mit dem Ranzen hatte bald eine größere Mannschaft zusammen, die schlug den Hauptmann mit seinen Leuten zurück, daß sie mit blutigen Nasen abziehen mußten. Der König sprach: "Der hergelaufene Kerl ist noch zu bändigen," und schickte am andern Tage eine größere Schar gegen ihn aus, aber sie konnte noch weniger ausrichten. Er stellte noch mehr Volk entgegen, und um noch schneller fertig zu werden, da drehte er paarmal sein Hütlein auf dem Kopfe herum, da fing das schwere Geschütz an zu spielen, und des Königs Leute wurden geschlagen und in die Flucht gejagt. "Jetzt mache ich nicht eher Frieden," sprach er, "als bis mir der König seine Tochter zur Frau gibt und ich in seinem Namen das ganze Reich beherrsche." Das ließ er dem König verkündigen, und dieser sprach zu seiner Tochter: "Muß ist eine harte Nuß, was bleibt mir anders übrig, als daß ich tue, was er verlangt? Will ich Frieden haben und die Krone auf meinem Haupte behalten, so muß ich dich hingeben."
Die Hochzeit ward also gefeiert, aber die Königstochter war verdrießlich, daß ihr Gemahl ein gemeiner Mann war, der einen schäbigen Hut trug und einen alten Ranzen umhängen hatte. Sie wäre ihn gerne wieder los gewesen und sann Tag und Nacht, wie sie das bewerkstelligen könnte. Da dachte sie: Sollten seine Wunderkräfte wohl in dem Ranzen stecken? verstellte sich und liebkoste ihn, und als sein Herz weich geworden war, sprach sie: "Wenn du nur den schlechten Ranzen ablegen wolltest, er verunziert dich so sehr, daß ich mich deiner schämen muß." - "Liebes Kind," antwortete er, "dieser Ranzen ist mein größter Schatz, solange ich den habe, fürchte ich keine Macht der Welt," und verriet ihr, mit welchen Wunderkräften er begabt war. Da fiel sie ihm um den Hals, als wenn sie ihn küssen wollte, nahm ihm aber mit Behendigkeit den Ranzen von der Schulter und lief damit fort. Sobald sie allein war, klopfte sie darauf und befahl den Kriegsleuten, sie sollten ihren vorigen Herrn festnehmen und aus dem königlichen Palast fortführen. Sie gehorchten, und die falsche Frau ließ noch mehr Leute hinter ihm herziehen, die ihn ganz zum Lande hinausjagen sollten. Da wäre er verloren gewesen, wenn er nicht das Hütlein gehabt hätte. Kaum aber waren seine Hände frei, so schwenkte er es ein paarmal: Alsbald fing das Geschütz an zu donnern und schlug alles nieder, und die Königstochter mußte selbst kommen und um Gnade bitten. Weil sie so beweglich bat und sich zu bessern versprach, so ließ er sich überreden und bewilligte ihr Frieden. Sie tat freundlich mit ihm, stellte sich an, als hätte sie ihn sehr lieb und wußte ihn nach einiger Zeit zu betören, daß er ihr vertraute, wenn auch einer den Ranzen in seine Gewalt bekäme, so könnte er doch nichts gegen ihn ausrichten, solange das alte Hütlein noch sein wäre. Als sie das Geheimnis wußte, wartete sie, bis er eingeschlafen war, dann nahm sie ihm das. Hütlein weg und ließ ihn hinaus auf die Straße werfen. Aber noch war ihm das Hörnlein übrig und im großen Zorne blies er aus allen Kräften hinein. Alsbald fiel alles zusammen, Mauern, Festungswerke, Städte und Dörfer und schlugen den König und die Königstochter tot. Und wenn er das Hörnlein nicht abgesetzt und nur noch ein wenig länger geblasen hätte, so wäre alles über den Haufen gestürzt und kein Stein auf dem andern geblieben. Da widerstand ihm niemand mehr, und er setzte sich zum König über das ganze Reich.
Diese Folge wird Ihnen von Podbean.com zur Verfügung gestellt.

Schneewittchen

Monday Aug 12, 2024

Monday Aug 12, 2024

Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab. Da saß eine Königin an einem Fenster, das einen Rahmen von schwarzem Ebenholz hatte, und nähte. Und wie sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rote im weißen Schnee so schön aussah, dachte sie bei sich: Hätt' ich ein Kind, so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen! Bald darauf bekam sie ein Töchterlein, das war so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz und ward darum Schneewittchen (Schneeweißchen) genannt. Und wie das Kind geboren war, starb die Königin. Über ein Jahr nahm sich der König eine andere Gemahlin. Es war eine schöne Frau, aber sie war stolz und übermütig und konnte nicht leiden, daß sie an Schönheit von jemand sollte übertroffen werden. Sie hatte einen wunderbaren Spiegel wenn sie vor den trat und sich darin beschaute, sprach sie:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,Wer ist die Schönste im ganzen Land?"
so antwortete der Spiegel:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste im Land."
Da war sie zufrieden, denn sie wußte, daß der Spiegel die Wahrheit sagte. Schneewittchen aber wuchs heran und wurde immer schöner, und als es sieben Jahre alt war, war es so schön, wie der klare Tag und schöner als die Königin selbst. Als diese einmal ihren Spiegel fragte:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,Wer ist die Schönste im ganzen Land?"
so antwortete er:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,Aber Schneewittchen ist tausendmal schöner als Ihr."
Da erschrak die Königin und ward gelb und grün vor Neid. Von Stund an, wenn sie Schneewittchen erblickte, kehrte sich ihr das Herz im Leibe herum - so haßte sie das Mädchen. Und der Neid und Hochmut wuchsen wie ein Unkraut in ihrem Herzen immer höher, daß sie Tag und Nacht keine Ruhe mehr hatte. Da rief sie einen Jäger und sprach: "Bring das Kind hinaus in den Wald, ich will's nicht mehr vor meinen Augen sehen. Du sollst es töten und mir Lunge und Leber zum Wahrzeichen mitbringen." Der Jäger gehorchte und führte es hinaus, und als er den Hirschfänger gezogen hatte und Schneewittchens unschuldiges Herz durchbohren wollte, fing es an zu weinen und sprach: "Ach, lieber Jäger, laß mir mein Leben! Ich will in den wilden Wald laufen und nimmermehr wieder heimkommen." Und weil es gar so schön war, hatte der Jäger Mitleiden und sprach: "So lauf hin, du armes Kind!" Die wilden Tiere werden dich bald gefressen haben, dachte er, und doch war's ihm, als wäre ein Stein von seinem Herzen gewälzt, weil er es nicht zu töten brauchte. Und als gerade ein junger Frischling dahergesprungen kam, stach er ihn ab, nahm Lunge und Leber heraus und brachte sie als Wahrzeichen der Königin mit. Der Koch mußte sie in Salz kochen, und das boshafte Weib aß sie auf und meinte, sie hätte Schneewittchens Lunge und Leber gegessen.
Nun war das arme Kind in dem großen Wald mutterseelenallein, und ward ihm so angst, daß es alle Blätter an den Bäumen ansah und nicht wußte, wie es sich helfen sollte. Da fing es an zu laufen und lief über die spitzen Steine und durch die Dornen, und die wilden Tiere sprangen an ihm vorbei, aber sie taten ihm nichts. Es lief, so lange nur die Füße noch fortkonnten, bis es bald Abend werden wollte. Da sah es ein kleines Häuschen und ging hinein, sich zu ruhen. In dem Häuschen war alles klein, aber so zierlich und reinlich, daß es nicht zu sagen ist. Da stand ein weißgedecktes Tischlein mit sieben kleinen Tellern, jedes Tellerlein mit seinem Löffelein, ferner sieben Messerlein und Gäblelein und sieben Becherlein. An der Wand waren sieben Bettlein nebeneinander aufgestellt und schneeweiße Laken darüber gedeckt. Schneewittchen, weil es so hungrig und durstig war, aß von jedem Tellerlein ein wenig Gemüs' und Brot und trank aus jedem Becherlein einen Tropfen Wein; denn es wollte nicht einem alles wegnehmen. Hernach, weil es so müde war, legte es sich in ein Bettchen, aber keins paßte; das eine war zu lang, das andere zu kurz, bis endlich das siebente recht war; und darin blieb es liegen, befahl sich Gott und schlief ein.
Als es ganz dunkel geworden war, kamen die Herren von dem Häuslein, das waren die sieben Zwerge, die in den Bergen nach Erz hackten und gruben. Sie zündeten ihre sieben Lichtlein an, und wie es nun hell im Häuslein ward, sahen sie, daß jemand darin gesessen war, denn es stand nicht alles so in der Ordnung, wie sie es verlassen hatten. Der erste sprach: "Wer hat auf meinem Stühlchen gesessen?' Der zweite: "Wer hat von meinem Tellerchen gegessen?" Der dritte: "Wer hat von meinem Brötchen genommen?" Der vierte: "Wer hat von meinem Gemüschen gegessen?" Der fünfte: "Wer hat mit meinem Gäbelchen gestochen?" Der sechste: "Wer hat mit meinem Messerchen geschnitten?" Der siebente: "Wer hat aus meinem Becherlein Getrunken?" Dann sah sich der erste um und sah, daß auf seinem Bett eine kleine Delle war, da sprach er: "Wer hat in mein Bettchen getreten?" Die anderen kamen gelaufen und riefen: "In meinem hat auch jemand Gelegen!" Der siebente aber, als er in sein Bett sah, erblickte Schneewittchen, das lag darin und schlief. Nun rief er die andern, die kamen herbeigelaufen und schrien vor Verwunderung, holten ihre sieben Lichtlein und beleuchteten Schneewittchen. "Ei, du mein Gott! Ei, du mein Gott!" riefen sie, "was ist das Kind so schön!" Und hatten so große Freude, daß sie es nicht aufweckten, sondern im Bettlein fortschlafen ließen. Der siebente Zwerg aber schlief bei seinen Gesellen, bei jedem eine Stunde, da war die Nacht herum. Als es Morgen war, erwachte Schneewittchen, und wie es die sieben Zwerge sah, erschrak es. Sie waren aber freundlich und fragten: "Wie heißt du?" - "Ich heiße Schneewittchen," antwortete es. "Wie bist du in unser Haus gekommen?" sprachen weiter die Zwerge. Da erzählte es ihnen, daß seine Stiefmutter es hätte wollen umbringen lassen, der Jäger hätte ihm aber das Leben geschenkt, und da wär' es gelaufen den ganzen Tag, bis es endlich ihr Häuslein gefunden hätte. Die Zwerge sprachen: "Willst du unsern Haushalt versehen, kochen, betten, waschen, nähen und stricken, und willst du alles ordentlich und reinlich halten, so kannst du bei uns bleiben, und es soll dir an nichts fehlen." - "Jaa, sagte Schneewittchen, "von Herzen gern!" und blieb bei ihnen. Es hielt ihnen das Haus in Ordnung. Morgens gingen sie in die Berge und suchten Erz und Gold, abends kamen sie wieder, und da mußte ihr Essen bereit sein. Den ganzen Tag über war das Mädchen allein; da warnten es die guten Zwerglein und sprachen: "Hüte dich vor deiner Stiefmutter, die wird bald wissen, daß du hier bist; laß ja niemand herein! Die Königin aber, nachdem sie Schneewittchens Lunge und Leber glaubte gegessen zu haben, dachte nicht anders, als sie wäre wieder die Erste und Allerschönste, trat vor ihren Spiegel und sprach:
"Spieglein, Spieglein. an der Wand,Wer ist die Schönste im ganzen Land?"
Da antwortete der Spiegel:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,Aber Schneewittchen über den BergenBei den sieben ZwergenIst noch tausendmal schöner als Ihr."
Da erschrak sie, denn sie wußte, daß der Spiegel keine Unwahrheit sprach, und merkte, daß der Jäger sie betrogen hatte und Schneewittchen noch am Leben war. Und da sann und sann sie aufs neue, wie sie es umbringen wollte; denn so lange sie nicht die Schönste war im ganzen Land, ließ ihr der Neid keine Ruhe. Und als sie sich endlich etwas ausgedacht hatte, färbte sie sich das Gesicht und kleidete sich wie eine alte Krämerin und war ganz unkenntlich. In dieser Gestalt ging sie über die sieben Berge zu den sieben Zwergen, klopfte an die Türe und rief: "Schöne Ware feil! feil!" Schneewittchen guckte zum Fenster hinaus und rief: "Guten Tag, liebe Frau! Was habt Ihr zu verkaufen?" - "Gute Ware," antwortete sie, "Schnürriemen von allen Farben," und holte einen hervor, der aus bunter Seide geflochten war. Die ehrliche Frau kann ich hereinlassen, dachte Schneewittchen, riegelte die Türe auf und kaufte sich den hübschen Schnürriemen. "Kind," sprach die Alte, "wie du aussiehst! Komm, ich will dich einmal ordentlich schnüren." Schneewittchen hatte kein Arg, stellte sich vor sie und ließ sich mit dem neuen Schnürriemen schnüren. Aber die Alte schnürte geschwind und schnürte so fest, daß dem Schneewittchen der Atem verging und es für tot hinfiel. "Nun bist du die Schönste gewesen," sprach sie und eilte hinaus. Nicht lange darauf, zur Abendzeit, kamen die sieben Zwerge nach Haus; aber wie erschraken sie, als sie ihr liebes Schneewittchen auf der Erde liegen sahen, und es regte und bewegte sich nicht, als wäre es tot. Sie hoben es in die Höhe, und weil sie sahen, daß es zu fest geschnürt war, schnitten sie den Schnürriemen entzwei; da fing es an ein wenig zu atmen und ward nach und nach wieder lebendig. Als die Zwerge hörten, was geschehen war, sprachen sie: "Die alte Krämerfrau war niemand als die gottlose Königin. Hüte dich und laß keinen Menschen herein, wenn wir nicht bei dir sind!" Das böse Weib aber, als es nach Haus gekommen war, ging vor den Spiegel und fragte:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,Wer ist die Schönste im ganzen Land?"
Da antwortete er wie sonst:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,Aber Schneewittchen über den BergenBei den sieben ZwergenIst noch tausendmal schöner als Ihr."
Als sie das hörte, lief ihr alles Blut zum Herzen, so erschrak sie, 'denn sie sah wohl, daß Schneewittchen wieder lebendig geworden war. "Nun aber," sprach sie," will ich etwas aussinnen, das dich- zugrunde richten soll," und mit Hexenkünsten, die sie verstand, machte sie einen giftigen Kamm. Dann verkleidete sie sich und nahm die Gestalt eines anderen alten Weibes an. So ging sie hin über die sieben Berge zu den sieben Zwergen, klopfte an die Türe und rief: "Gute Ware feil! feil!" Schneewittchen schaute heraus und sprach: "Geht nur weiter, ich darf niemand hereinlassen!" - "Das Ansehen wird dir doch erlaubt sein," sprach die Alte, zog den giftigen Kamm heraus und hielt ihn in die Höhe. Da gefiel er dem Kinde so gut, daß es sich betören ließ und die Türe öffnete. Als sie des Kaufs einig waren, sprach die Alte: "Nun will ich dich einmal ordentlich kämmen." Das arme Schneewittchen dachte an nichts, ließ die Alte gewähren, aber kaum hatte sie den Kamm in die Haare gesteckt, als das Gift darin wirkte und das Mädchen ohne Besinnung niederfiel. "Du Ausbund von Schönheit," sprach das boshafte Weib, "jetzt ist's um dich geschehen," und ging fort. Zum Glück aber war es bald Abend, wo die sieben Zwerglein nach Haus kamen. Als sie Schneewittchen wie tot auf der Erde liegen sahen, hatten sie gleich die Stiefmutter in Verdacht, suchten nach und fanden den giftigen Kamm. Und kaum hatten sie ihn herausgezogen, so kam Schneewittchen wieder zu sich und erzählte, was vorgegangen war. Da warnten sie es noch einmal, auf seiner Hut zu sein und niemand die Türe zu öffnen. Die Königin stellte sich daheim vor den Spiegel und sprach:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,Wer ist die Schönste im ganzen Land?"
Da antwortete er wie vorher:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,Aber Schneewittchen über den BergenBei den sieben ZwergenIst noch tausendmal schöner als Ihr."
Als sie den Spiegel so reden hörte, zitterte und bebte sie vor Zorn. ,Schneewittchen soll sterben," rief sie, "und wenn es mein eigenes Leben kostet!" Darauf ging sie in eine ganz verborgene, einsame Kammer, wo niemand hinkam, und machte da einen giftigen, giftigen Apfel. Äußerlich sah er schön aus, weiß mit roten Backen, daß jeder, der ihn erblickte, Lust danach bekam, aber wer ein Stückchen davon aß, der mußte sterben. Als der Apfel fertig war, färbte sie sich das Gesicht und verkleidete sich in eine Bauersfrau, und so ging sie über die sieben Berge zu den sieben Zwergen. Sie klopfte an. Schneewittchen streckte den Kopf zum Fenster heraus und sprach: " Ich darf keinen Menschen einlassen, die sieben Zwerge haben mir's verboten!" - "Mir auch recht," antwortete die Bäuerin, "meine Äpfel will ich schon loswerden. Da, einen will ich dir schenken." - "Nein," sprach Schneewittchen, "ich darf nichts annehmen!" - "Fürchtest du dich vor Gift?" sprach die Alte, "siehst du, da schneide ich den Apfel in zwei Teile; den roten Backen iß, den weißen will ich essen " Der Apfel war aber so künstlich gemacht, daß der rote Backen allein vergiftet war. Schneewittchen lusterte den schönen Apfel an, und als es sah, daß die Bäuerin davon aß, so konnte es nicht länger widerstehen, streckte die Hand hinaus und nahm die giftige Hälfte. Kaum aber hatte es einen Bissen davon im Mund, so fiel es tot zur Erde nieder. Da betrachtete es die Königin mit grausigen Blicken und lachte überlaut und sprach: "Weiß wie Schnee, rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz! Diesmal können dich die Zwerge nicht wieder erwecken." Und als sie daheim den Spiegel befragte:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,Wer ist die Schönste im ganzen Land?"
so antwortete er endlich:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste im Land."
Da hatte ihr neidisches Herz Ruhe, so gut ein neidisches Herz Ruhe haben kann.
Die Zwerglein, wie sie abends nach Haus kamen, fanden Schneewittchen auf der Erde liegen, und es ging kein Atem mehr aus seinem Mund, und es war tot. Sie hoben es auf suchten, ob sie was Giftiges fänden, schnürten es auf, kämmten ihm die Haare, wuschen es mit Wasser und Wein, aber es half alles nichts; das liebe Kind war tot und blieb tot. Sie legten es auf eine Bahre und setzten sich alle siebene daran und beweinten es und weinten drei Tage lang. Da wollten sie es begraben, aber es sah noch so frisch aus wie ein lebender Mensch und hatte noch seine schönen, roten Backen. Sie sprachen: "Das können wir nicht in die schwarze Erde versenken," und ließen einen durchsichtigen Sarg von Glas machen, daß man es von allen Seiten sehen konnte, legten es hinein und schrieben mit goldenen Buchstaben seinen Namen darauf und daß es eine Königstochter wäre. Dann setzten sie den Sarg hinaus auf den Berg, und einer von ihnen blieb immer dabei und bewachte ihn. Und die Tiere kamen auch und beweinten Schneewittchen, erst eine Eule dann ein Rabe. zuletzt ein Täubchen. Nun lag Schneewittchen lange, lange Zeit in dem Sarg und verweste nicht, sondern sah aus, als wenn es schliefe, denn es war noch so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz. Es geschah aber, daß ein Königssohn in den Wald geriet und zu dem Zwergenhaus kam, da zu übernachten. Er sah auf dem Berg den Sarg und das schöne Schneewittchen darin und las, was mit goldenen Buchstaben darauf geschrieben war. Da sprach er zu den Zwergen: "Laßt mir den Sarg, ich will euch geben, was ihr dafür haben wollt " Aber die Zwerge antworteten: "Wir geben ihn nicht für alles Gold in der Welt." Da sprach er: "So schenkt mir ihn, denn ich kann nicht leben, ohne Schneewittchen zu sehen, ich will es ehren und hochachten wie mein Liebstes." Wie er so sprach, empfanden die guten Zwerglein Mitleid mit ihm und gaben ihm den Sarg. Der Königssohn ließ ihn nun von seinen Dienern auf den Schultern forttragen. Da geschah es, daß sie über einen Strauch stolperten, und von dem Schüttern fuhr der giftige Apfelgrütz, den Schneewittchen abgebissen hatte, aus dem Hals. Und nicht lange, so öffnete es die Augen, hob den Deckel vom Sarg in die Höhe und richtete sich auf und war wieder lebendig. "Ach Gott, wo bin ich?" rief es. Der Königssohn sagte voll Freude: "Du bist bei mir," und erzählte, was sich zugetragen hatte, und sprach: "Ich habe dich lieber als alles auf der Welt; komm mit mir in meines Vaters Schloß, du sollst meine Gemahlin werden." Da war ihm Schneewittchen gut und ging mit ihm, und ihre Hochzeit ward mit großer Pracht und Herrlichkeit angeordnet. Zu dem Feste wurde aber auch Schneewittchens gottlose Stiefmutter eingeladen. Wie sie sich nun mit schönen Kleidern angetan hatte, trat sie vor den Spiegel und sprach:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,Wer ist die Schönste im ganzen Land?"
Der Spiegel antwortete:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,Aber die junge Königin ist noch tausendmal schöner als Ihr."
Da stieß das böse Weib einen Fluch aus, und ward ihr so angst, so angst, daß sie sich nicht zu lassen wußte. Sie wollte zuerst gar nicht auf die Hochzeit kommen, doch ließ es ihr keine Ruhe, sie mußte fort und die junge Königin sehen. Und wie sie hineintrat, erkannte sie Schneewittchen, und vor Angst und Schrecken stand sie da und konnte sich nicht regen. Aber es waren schon eiserne Pantoffel über Kohlenfeuer gestellt und wurden mit Zangen hereingetragen und vor sie hingestellt. Da mußte sie in die rotglühenden Schuhe treten und so lange tanzen, bis sie tot zur Erde fiel.
Diese Folge wird Ihnen von Podbean.com zur Verfügung gestellt.

König Drosselbart

Monday Aug 12, 2024

Monday Aug 12, 2024

Ein König hatte eine Tochter, die war über alle Maßen schön, aber dabei so stolz und übermütig, daß ihr kein Freier gut genug war. Sie wies einen nach dem andern ab, und trieb noch dazu Spott mit ihnen. Einmal ließ der König ein großes Fest anstellen, und ladete dazu aus der Nähe und Ferne die heiratslustigen Männer ein. Sie wurden alle in eine Reihe nach Rang und Stand geordnet; erst kamen die Könige, dann die Herzöge, die Fürsten, Grafen und Freiherrn, zuletzt die Edelleute. Nun ward die Königstochter durch die Reihen geführt, aber an jedem hatte sie etwas auszusetzen. Der eine war ihr zu dick, "das Weinfaß!" sprach sie. Der andere zu lang, "lang und schwank hat keinen Gang." Der dritte zu kurz, "kurz und dick hat kein Geschick." Der vierte zu blaß, "der bleiche Tod!" der fünfte zu rot, "der Zinshahn!" der sechste war nicht gerad genug, "grünes Holz, hinterm Ofen getrocknet!" Und so hatte sie an einem jeden etwas auszusetzen, besonders aber machte sie sich über einen guten König lustig, der ganz oben stand und dem das Kinn ein wenig krumm gewachsen war. "Ei," rief sie und lachte, "der hat ein Kinn, wie die Drossel einen Schnabel," und seit der Zeit bekam er den Namen 'Drosselbart'. Der alte König aber, als er sah, daß seine Tochter nichts tat als über die Leute spotten, und alle Freier, die da versammelt waren, verschmähte, ward er zornig und schwur, sie sollte den ersten besten Bettler zum Manne nehmen, der vor seine Türe käme.
Ein paar Tage darauf hub ein Spielmann an unter dem Fenster zu singen, um damit ein geringes Almosen zu verdienen. Als es der König hörte, sprach er: "Laßt ihn heraufkommen." Da trat der Spielmann in seinen schmutzigen verlumpten Kleidern herein, sang vor dem König und seiner Tochter, und bat, als er fertig war, um eine milde Gabe. Der König sprach: "Dein Gesang hat mir so wohl gefallen, daß ich dir meine Tochter da zur Frau geben will." Die Königstochter erschrak, aber der König sagte: "Ich habe den Eid getan, dich dem ersten besten Bettelmann zu geben, den will ich auch halten." Es half keine Einrede, der Pfarrer ward geholt, und sie mußte sich gleich mit dem Spielmann trauen lassen. Als das geschehen war, sprach der König: "Nun schickt sichs nicht, daß du als ein Bettelweib noch Iänger in meinem Schloß bleibst, du kannst nur mit deinem Manne fortziehen."
Der Bettelmann führte sie an der Hand hinaus, und sie mußte mit ihm zu Fuß fortgehen. Als sie in einen großen Wald kamen, da fragte sie: "Ach, wem gehört der schöne Wald?"
"Der gehört dem König Drosselbart;hättst du'n genommen, so wär er dein.""Ich arme Jungfer zart,ach, hätt ich genommenden König Drosselbart!"
Darauf kamen sie über eine Wiese, da fragte sie wieder: "Wem gehört die schöne grüne Wiese?"
"Sie gehört dem König Drosselbart;hättst du'n genommen, so wär sie dein.""Ich arme Jungfer zart,ach, hätt ich genommenden König Drosselbart!"
Dann kamen sie durch eine große Stadt, da fragte sie wieder: "Wem gehört diese schöne große Stadt?"
"Sie gehört dem König Drosselbart,hättst du'n genommen, so wär sie dein.""Ich arme Jungfer zart,ach, hätt ich genommenden König Drosselbart!"
"Es gefällt mir gar nicht," sprach der Spielmann, "daß du dir immer einen andern zum Mann wünschest: bin ich dir nicht gut genug?" Endlich kamen sie an ein ganz kleines Häuschen, da sprach sie:
"Ach, Gott, was ist das Haus so klein!wem mag das elende winzige Häuschen sein?"
Der Spielmann antwortete: "Das ist mein und dein Haus, wo wir zusammen wohnen." Sie mußte sich bücken, damit sie zu der niedrigen Tür hineinkam. "Wo sind die Diener?" sprach die Königstochter. "Was Diener!" antwortete der Bettelmann, "du mußt selber tun, was du willst getan haben. Mach nur gleich Feuer an und stell Wasser auf, daß du mir mein Essen kochst; ich bin ganz müde." Die Königstochter verstand aber nichts vom Feueranmachen und Kochen, und der Bettelmann mußte selber mit Hand anlegen, daß es noch so leidlich ging. Als sie die schmale Kost verzehrt hatten, legten sie sich zu Bett: aber am Morgen trieb er sie schon ganz früh heraus, weil sie das Haus besorgen sollte. Ein paar Tage lebten sie auf diese Art schlecht und recht, und zehrten ihren Vorrat auf. Da sprach der Mann: "Frau, so gehts nicht länger, daß wir hier zehren und nichts verdienen. Du sollst Körbe flechten." Er ging aus, schnitt Weiden und brachte sie heim: da fing sie an zu flechten, aber die harten Weiden stachen ihr die zarten Hände wund. "Ich sehe, das geht nicht," sprach der Mann, "spinn lieber, vielleicht kannst du das besser." Sie setzte sich hin und versuchte zu spinnen, aber der harte Faden schnitt ihr bald in die weichen Finger, daß das Blut daran herunterlief. "Siehst du," sprach der Mann, "du taugst zu keiner Arbeit, mit dir bin ich schlimm angekommen. Nun will ichs versuchen, und einen Handel mit Töpfen und irdenem Geschirr anfangen: du sollst dich auf den Markt setzen und die Ware feil halten." - "Ach," dachte sie, "wenn auf den Markt Leute aus meines Vaters Reich kommen, und sehen mich da sitzen und feil halten, wie werden sie mich verspotten!" Aber es half nichts, sie mußte sich fügen, wenn sie nicht Hungers sterben wollten. Das erstemal gings gut, denn die Leute kauften der Frau, weil sie schön war, gern ihre Ware ab, und bezahlten, was sie forderte: ja, viele gaben ihr das Geld, und ließen ihr die Töpfe noch dazu. Nun lebten sie von dem Erworbenen, solange es dauerte, da handelte der Mann wieder eine Menge neues Geschirr ein. Sie setzte sich damit an eine Ecke des Marktes, und stellte es um sich her und hielt feil. Da kam plötzlich ein trunkener Husar dahergejagt, und ritt geradezu in die Töpfe hinein, daß alles in tausend Scherben zersprang. Sie fing an zu weinen und wußte vor Angst nicht, was sie anfangen sollte. "Ach, wie wird mirs ergehen!" rief sie, "was wird mein Mann dazu sagen!" Sie lief heim und erzählte ihm das Unglück. "Wer setzt sich auch an die Ecke des Marktes mit irdenem Geschirr!" sprach der Mann, "laß nur das Weinen, ich sehe wohl, du bist zu keiner ordentlichen Arbeit zu gebrauchen. Da bin ich in unseres Königs Schloß gewesen und habe gefragt, ob sie nicht eine Küchenmagd brauchen könnten, und sie haben mir versprochen, sie wollten dich dazu nehmen; dafür bekommst du freies Essen."
Nun ward die Königstochter eine Küchenmagd, mußte dem Koch zur Hand gehen und die sauerste Arbeit tun. Sie machte sich in beiden Taschen ein Töpfchen fest, darin brachte sie nach Haus was ihr von dem Übriggebliebenen zuteil ward, und davon nährten sie sich. Es trug sich zu, daß die Hochzeit des ältesten Königssohnes sollte gefeiert werden, da ging die arme Frau hinauf, stellte sich vor die Saaltüre und wollte zusehen. Als nun die Lichter angezündet waren, und immer einer schöner als der andere hereintrat, und alles voll Pracht und Herrlichkeit war, da dachte sie mit betrübtem Herzen an ihr Schicksal und verwünschte ihren Stolz und Übermut, der sie erniedrigt und in so große Armut gestürzt hatte. Von den köstlichen Speisen, die da ein- und ausgetragen wurden, und von welchen der Geruch zu ihr aufstieg, warfen ihr Diener manchmal ein paar Brocken zu, die tat sie in ihr Töpfchen und wollte es heimtragen. Auf einmal trat der Königssohn herein, war in Samt und Seide gekleidet und hatte goldene Ketten um den Hals. Und als er die schöne Frau in der Türe stehen sah, ergriff er sie bei der Hand und wollte mit ihr tanzen, aber sie weigerte sich und erschrak, denn sie sah, daß es der König Drosselbart war, der um sie gefreit und den sie mit Spott abgewiesen hatte. Ihr Sträuben half nichts, er zog sie in den Saal: da zerriß das Band, an welchem die Taschen hingen, und die Töpfe fielen heraus, daß die Suppe floß und die Brocken umhersprangen. Und wie das die Leute sahen, entstand ein allgemeines Gelächter und Spotten, und sie war so beschämt, daß sie sich lieber tausend Klafter unter die Erde gewünscht hätte. Sie sprang zur Türe hinaus und wollte entfliehen, aber auf der Treppe holte sie ein Mann ein und brachte sie zurück: und wie sie ihn ansah, war es wieder der König Drosselbart. Er sprach ihr freundlich zu: "Fürchte dich nicht, ich und der Spielmann, der mit dir in dem elenden Häuschen gewohnt hat, sind eins: dir zuliebe habe ich mich so verstellt, und der Husar, der dir die Töpfe entzweigeritten hat, bin ich auch gewesen. Das alles ist geschehen, um deinen stolzen Sinn zu beugen und dich für deinen Hochmut zu strafen, womit du mich verspottet hast." Da weinte sie bitterlich und sagte: "Ich habe großes Unrecht gehabt und bin nicht wert, deine Frau zu sein." Er aber sprach: "Tröste dich, die bösen Tage sind vorüber, jetzt wollen wir unsere Hochzeit feiern." Da kamen die Kammerfrauen und taten ihr die prächtigsten Kleider an, und ihr Vater kam und der ganze Hof, und wünschten ihr Glück zu ihrer Vermählung mit dem König Drosselbart, und die rechte Freude fing jetzt erst an. Ich wollte, du und ich, wir wären auch dabei gewesen.
Diese Folge wird Ihnen von Podbean.com zur Verfügung gestellt.

Fundevogel

Monday Aug 12, 2024

Monday Aug 12, 2024

Es war einmal ein Förster, der ging in den Wald auf die Jagd, und wie er in den Wald kam, hörte er schreien, als obs ein kleines Kind wäre. Er ging dem Schreien nach und kam endlich zu einem hohen Baum, und oben darauf saß ein kleines Kind. Es war aber die Mutter mit dem Kinde unter dem Baum eingeschlafen, und ein Raubvogel hatte das Kind in ihrem Schoße gesehen: da war er hinzugeflogen, hatte es mit seinem Schnabel weggenommen und auf den hohen Baum gesetzt.
Der Förster stieg hinauf, holte das Kind herunter und dachte: "Du willst das Kind mit nach Haus nehmen und mit deinem Lenchen zusammen aufziehn." Er brachte es also heim, und die zwei Kinder wuchsen miteinander auf. Das aber, das auf dem Baum gefunden worden war, und weil es ein Vogel weggetragen hatte, wurde Fundevogel geheißen. Fundevogel und Lenchen hatten sich so lieb, nein so lieb, daß, wenn eins das andere nicht sah, ward es traurig.
Der Förster hatte aber eine alte Köchin, die nahm eines Abends zwei Eimer und fing an Wasser zu schleppen, und ging nicht einmal, sondern vielemal hinaus an den Brunnen. Lenchen sah es und sprach: "Hör einmal, alte Sanne' was trägst du denn so viel Wasser zu?" - "Wenn dus keinem Menschen wiedersagen willst, so will ich dirs wohl sagen." Da sagte Lenchen nein, sie wollte es keinem Menschen wiedersagen, so sprach die Köchin: "Morgen früh, wenn der Förster auf die Jagd ist' da koche ich das Wasser, und wenns im Kessel siedet, werfe ich den Fundevogel nein, und will ihn darin kochen."
Des andern Morgens in aller Frühe stieg der Förster auf und ging auf die Jagd, und als er weg war, lagen die Kinder noch im Bett. Da sprach Lenchen zum Fundevogel: "Verläßt du mich nicht, so verlaß ich dich auch nicht, so sprach der Fundevogel, "nun und nimmermehr." Da sprach Lenchen: "Ich will es dir nur sagen, die alte Sanne schleppte gestern abend so viel Eimer Wasser ins Haus, da fragte ich sie, warum sie das täte, so sagte sie, wenn ich es keinem Menschen sagen wollte, so wollte sie es mir wohl sagen: sprach ich, ich wollte es gewiß keinem Menschen sagen: da sagte sie, morgen früh, wenn der Vater auf die Jagd wäre, wollte sie den Kessel voll Wasser sieden, dich hineinwerfen und kochen. Wir wollen aber geschwind aufstehen, uns anziehen und zusammen fortgehen."
Also standen die beiden Kinder auf, zogen sich geschwind an und gingen fort. Wie nun das Wasser im Kessel kochte, ging die Köchin in die Schlafkammer, wollte den Fundevogel holen und ihn hineinwerfen. Aber als sie hineinkam und zu den Betten trat, waren die Kinder alle beide fort: da wurde ihr grausam angst, und sie sprach vor sich: "Was will ich nun sagen, wenn der Förster heim kommt und sieht, daß die Kinder weg sind? Geschwind hintennach, daß wir sie wiederkriegen."
Da schickte die Köchin drei Knechte nach, die sollten laufen und die Kinder einfangen. Die Kinder aber saßen vor dem Wald, und als sie die drei Knechte von weitem laufen sahen, sprach Lenchen zum Fundevogel: "Verläßt du mich nicht, so verlaß ich dich auch nicht." So sprach Fundevogel: "Nun und nimmermehr." Da sagte Lenchen: "Werde du zum Rosenstöckchen, und ich zum Röschen darauf." Wie nun die drei Knechte vor den Wald kamen, so war nichts da als ein Rosenstrauch und ein Röschen oben drauf, die Kinder aber nirgend. Da sprachen sie: "Hier ist nichts zu machen," und gingen heim und sagten der Köchin, sie hätten nichts in der Welt gesehen als nur ein Rosenstöckchen und ein Röschen oben darauf. Da schalt die alte Köchin: "Ihr Einfaltspinsel, ihr hättet das Rosenstöckchen sollen entzweischneiden und das Röschen abbrechen und mit nach Haus bringen, geschwind und tuts." Sie mußten also zum zweitenmal hinaus und suchen. Die Kinder sahen sie aber von weitem kommen, da sprach Lenchen: "Fundevogel, verläßt du mich nicht, so verlaß ich dich auch nicht." Fundevogel sagte: "Nun und nimmermehr." Sprach Lenchen: "So werde du eine Kirche und ich die Krone darin." Wie nun die drei Knechte dahinkainen, war nichts da als eine Kirche und eine Krone darin. Sie sprachen also zueinander: "Was sollen wir hier machen, laßt uns nach Hause gehen." Wie sie nach Haus kamen, fragte die Köchin, ob sie nichts gefunden hätten: so sagten sie nein, sie hätten nichts gefunden als eine Kirche, da wäre eine Krone darin gewesen. "Ihr Narren," schalt die Köchin, "warum habt ihr nicht die Kirche zerbrochen und die Krone mit heim gebracht?" Nun machte sich die alte Köchin selbst auf die Beine und ging mit den drei Knechten den Kindern nach. Die Kinder sahen aber die drei Knechte von weitem kommen, und die Köchin wackelte hintennach. Da sprach Lenchen: "Fundevogel, verläßt du mich nicht, so verlaß ich dich auch nicht." Da sprach der Fundevogel: "Nun und nimmermehr." Sprach Lenchen: "Werde zum Teich und ich die Ente drauf." Die Köchin aber kam herzu, und als sie den Teich sah, legte sie sich drüberhin und wollte ihn aussaufen. Aber die Ente kam schnell geschwommen, faßte sie mit ihrem Schnabel beim Kopf und zog sie ins Wasser hinein: da mußte die alte Hexe ertrinken. Da gingen die Kinder zusammen nach Haus und waren herzlich froh; und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch.
Diese Folge wird Ihnen von Podbean.com zur Verfügung gestellt.

Dornröschen

Monday Aug 12, 2024

Monday Aug 12, 2024

Vor Zeiten war ein König und eine Königin, die sprachen jeden Tag: "Ach, wenn wir doch ein Kind hätten!" und kriegten immer keins. Da trug sich zu, als die Königin einmal im Bade sass, dass ein Frosch aus dem Wasser ans Land kroch und zu ihr sprach: "Dein Wunsch wird erfüllt werden, ehe ein Jahr vergeht, wirst du eine Tochter zur Welt bringen."
Was der Frosch gesagt hatte, das geschah, und die Königin gebar ein Mädchen, das war so schön, dass der König vor Freude sich nicht zu lassen wusste und ein grosses Fest anstellte. Er ladete nicht bloss seine Verwandte, Freunde und Bekannte, sondern auch die weisen Frauen dazu ein, damit sie dem Kind hold und gewogen wären. Es waren ihrer dreizehn in seinem Reiche, weil er aber nur zwölf goldene Teller hatte, von welchen sie essen sollten, so musste eine von ihnen daheim bleiben.
Das Fest ward mit aller Pracht gefeiert, und als es zu Ende war, beschenkten die weisen Frauen das Kind mit ihren Wundergaben: die eine mit Tugend, die andere mit Schönheit, die dritte mit Reichtum, und so mit allem, was auf der Welt zu wünschen ist. Als elfe ihre Sprüche eben getan hatten, trat plötzlich die dreizehnte herein. Sie wollte sich dafür rächen, dass sie nicht eingeladen war, und ohne jemand zu grüssen oder nur anzusehen, rief sie mit lauter Stimme: "Die Königstochter soll sich in ihrem fünfzehnten Jahr an einer Spindel stechen und tot hinfallen." Und ohne ein Wort weiter zu sprechen, kehrte sie sich um und verliess den Saal. Alle waren erschrocken, da trat die zwölfte hervor, die ihren Wunsch noch übrig hatte, und weil sie den bösen Spruch nicht aufheben, sondern nur ihn mildern konnte, so sagte sie: "Es soll aber kein Tod sein, sondern ein hundertjähriger tiefer Schlaf, in welchen die Königstochter fällt."
Der König, der sein liebes Kind vor dem Unglück gern bewahren wollte, liess den Befehl ausgehen, dass alle Spindeln im ganzen Königreiche verbrannt werden. An dem Mädchen aber wurden die Gaben der weisen Frauen sämtlich erfüllt, denn es war so schön, sittsam, freundlich und verständig, dass es jedermann, er es ansah, lieb haben musste. Es geschah, dass an dem Tage, wo es gerade fünfzehn Jahr alt ward, der König und die Königin nicht zu Haus waren, und das Mädchen ganz allein im Schloss zurückblieb. Da ging es allerorten herum, besah Stuben und Kammern, wie es Lust hatte, und kam endlich auch an einen alten Turm. Es stieg die enge Wendeltreppe hinauf, und gelangte zu einer kleinen Türe. In dem Schloss steckte ein verrosteter Schlüssel, und als es umdrehte, sprang die Türe auf, und sass da in einem kleinen Stübchen eine alte Frau mit einer Spindel und spann emsig ihren Flachs.
"Guten Tag, du altes Mütterchen," sprach die Königstochter, "was machst du da?" - "Ich spinne," sagte die Alte und nickte mit dem Kopf ."Was ist das für ein Ding, das so lustig herumspringt?" sprach das Mädchen, nahm die Spindel und wollte auch spinnen. Kaum hatte sie aber die Spindel angerührt, so ging der Zauberspruch in Erfüllung, und sie stach sich damit in den Finger. In dem Augenblick aber, wo sie den Stich empfand, fiel sie auf das Bett nieder das da stand, und lag in einem tiefen Schlaf.
Und dieser Schlaf verbreite sich über das ganze Schloss: der König und die Königin, die eben heimgekommen waren und in den Saal getreten waren, fingen an einzuschlafen und der ganze Hofstaat mit ihnen. Da schliefen auch die Pferde im Stall, die Hunde im Hofe, die Tauben auf dem Dache, die Fliegen an der Wand, ja, das Feuer, das auf dem Herde flackerte, ward still und schlief ein, und der Braten hörte auf zu brutzeln, und der Koch, der den Küchenjungen, weil er etwas versehen hatte, in den Haaren ziehen wollte, liess ihn los und schlief. Und der Wind legt sich, und auf den Bäumen vor dem Schloss regte sich kein Blättchen mehr. Rings um das Schloss aber begann eine Dornenhecke zu wachsen, die jedes Jahr höher ward, und endlich das ganze Schloss umzog und darüber hinauswuchs, dass gar nichts davon zu sehen war, selbst nicht die Fahne auf den Dach.
Es ging aber die Sage in dem Land von dem schönen schlafenden Dornröschen, denn so ward die Königstochter genannt, also dass von Zeit zu Zeit Königssöhne kamen und durch die Hecke in das Schloss dringen wollten. Es war ihnen aber nicht möglich, denn die Dornen, als hätten sie Hände, hielten fest zusammen, und die Jünglinge blieben darin hängen, konnten sich nicht wieder losmachen und starben eines jämmerlichen Todes.
Nach langen Jahren kam wieder einmal ein Königssohn in das Land, und hörte, wie ein alter Mann von der Dornenhecke erzählte, es sollte ein Schloss dahinter stehen, in welchem eine wunderschöne Königstochter, Dornröschen genannt, schon seit hundert Jahren schliefe, und mit ihr der König und die Königin und der ganze Hofstaat. Er wusste auch von seinem Grossvater, dass schon viele Königssöhne gekommen wären und versucht hätten, durch die Dornenhecke zu dringen, aber sie wären darin hängengeblieben und eines traurigen Todes gestorben. Da sprach der Jüngling: "Ich fürchte mich nicht, ich will hinaus und das schöne Dornröschen sehen." Der gute Alte mochte ihm abraten, wie er wollte, er hörte nicht auf seine Worte. Nun waren aber gerade die hundert Jahre verflossen, und der Tag war gekommen, wo Dornröschen wieder erwachen sollte. Als der Königssohn sich der Dornenhecke näherte, waren es lauter grosse schöne Blumen, die taten sich von selbst auseinander und liessen ihn unbeschädigt hindurch, und hinter ihm taten sie sich wieder als Hecke zusammen. Im Schlosshof sah er die Pferde und scheckigen Jagdhunde liegen und schlafen, auf dem Dach sassen die Tauben und hatten das Köpfchen unter den Flügel gesteckt. Und als er ins Haus kam, schliefen die Fliegen an der Wand, der Koch in der Küche hielt noch die Hand, als wollte er den Jungen anpacken, und die Magd sass vor dem schwarzen Huhn, das sollte gerupft werden.
Da ging er weiter und sah im Saale den ganzen Hofstaat liegen und schlafen, und oben bei dem Throne lag der König und die Königin. Da ging er noch weiter, und alles war so still, dass einer seinen Atem hören konnte, und endlich kam er zu dem Turm und öffnete die Türe zu der kleinen Stube, in welcher Dornröschen schlief. Da lag es und war so schön, dass er die Augen nicht abwenden konnte, und er bückte sich und gab ihm einen Kuss.
Wie er es mit dem Kuss berührt hatte, schlug Dornröschen die Augen auf, erwachte, und blickte ihn ganz freundlich an. Da gingen sie zusammen herab, und der König erwachte und die Königin und der ganze Hofstaat, und sahen einander mit grossen Augen an. Und die Pferde im Hof standen auf und rüttelten sich; die Jagdhunde sprangen und wedelten; die Tauben auf dem Dache zogen das Köpfchen unterm Flügel hervor, sahen umher und flogen ins Feld; die Fliegen an den Wänden krochen weiter; das Feuer in der Küche erhob sich, flackerte und kochte das Essen; der Braten fing wieder an zu brutzeln; und der Koch gab dem Jungen eine Ohrfeige, dass er schrie; und die Magd rupfte das Huhn fertig.
Und da wurde die Hochzeit des Königssohns mit dem Dornröschen in aller Pracht gefeiert, und sie lebten vergnügt bis an ihr Ende.
Diese Folge wird Ihnen von Podbean.com zur Verfügung gestellt.

Die sechs Schwäne

Monday Aug 12, 2024

Monday Aug 12, 2024

Es jagte einmal ein König in einem großen Wald und jagte einem Wild so eifrig nach, daß ihm niemand von seinen Leuten folgen konnte. Als der Abend herankam, hielt er still und blickte um sich, da sah er, daß er sich verirrt hatte. Er suchte einen Ausgang, konnte aber keinen finden. Da sah er eine alte Frau mit wackelndem Kopfe, die auf ihn zukam; das war aber eine Hexe.
"Liebe Frau," sprach er zu ihr, "könnt Ihr mir nicht den Weg durch den Wald zeigen?"
"O ja, Herr König," antwortete sie, "das kann ich wohl, aber es ist eine Bedingung dabei, wenn Ihr die nicht erfüllt, so kommt Ihr nimmermehr aus dem Wald und müßt darin Hungers sterben."
"Was ist das für eine Bedingung?" fragte der König.
"Ich habe eine Tochter," sagte die Alte, "die so schön ist, wie Ihr eine auf der Welt finden könnt, und wohl verdient, Eure Gemahlin zu werden, wollt Ihr die zur Frau Königin machen, so zeige ich Euch den Weg aus dem Walde."
Der König in der Angst seines Herzens willigte ein, und die Alte führte ihn zu ihrem Häuschen, wo ihre Tochter beim Feuer saß. Sie empfing den König, als wenn sie ihn erwartet hätte, und er sah wohl, daß sie sehr schön war, aber sie gefiel ihm doch nicht, und er konnte sie ohne heimliches Grausen nicht ansehen. Nachdem er das Mädchen zu sich aufs Pferd gehoben hatte, zeigte ihm die Alte den Weg, und der König gelangte wieder in sein königliches Schloß, wo die Hochzeit gefeiert wurde.
Der König war schon einmal verheiratet gewesen und hatte von seiner ersten Gemahlin sieben Kinder, sechs Knaben und ein Mädchen, die er über alles auf der Welt liebte. Weil er nun fürchtete, die Stiefmutter möchte sie nicht gut behandeln und ihnen gar ein Leid antun, so brachte er sie in ein einsames Schloß, das mitten in einem Walde stand. Es lag so verborgen und der Weg war so schwer zu finden, daß er ihn selbst nicht gefunden hätte, wenn ihm nicht eine weise Frau ein Knäuel Garn von wunderbarer Eigenschaft geschenkt hätte; wenn er das vor sich hinwarf, so wickelte es sich von selbst los und zeigte ihm den Weg.
Der König ging aber so oft hinaus zu seinen lieben Kindern, daß der Königin seine Abwesenheit auffiel; sie ward neugierig und wollte wissen, was er draußen ganz allein in dem Walde zu schaffen habe. Sie gab seinen Dienern viel Geld, und die verrieten ihr das Geheimnis und sagten ihr auch von dem Knäuel, das allein den Weg zeigen könnte. Nun hatte sie keine Ruhe, bis sie herausgebracht hatte, wo der König das Knäuel aufbewahrte, und dann machte sie kleine weißseidene Hemdchen, und da sie von ihrer Mutter die Hexenkünste gelernt hatte, so nähete sie einen Zauber hinein. Und als der König einmal auf die Jagd geritten war, nahm sie die Hemdchen und ging in den Wald, und das Knäuel zeigte ihr den Weg. Die Kinder, die aus der Ferne jemand kommen sahen, meinten, ihr lieber Vater käme zu ihnen, und sprangen ihm voll Freude entgegen. Da warf sie über ein jedes eins von den Hemdchen, und wie das ihren Leib berührt hatte, verwandelten sie sich in Schwäne und flogen über den Wald hinweg. Die Königin ging ganz vergnügt nach Haus und glaubte ihre Stiefkinder los zu sein, aber das Mädchen war ihr mit den Brüdern nicht entgegengelaufen, und sie wußte nichts von ihm. Anderntags kam der König und wollte seine Kinder besuchen, er fand aber niemand als das Mädchen.
"Wo sind deine Brüder?" fragte der König.
"Ach, lieber Vater," antwortete es, "die sind fort und haben mich allein zurückgelassen," und erzählte ihm, daß es aus seinem Fensterlein mit angesehen habe, wie seine Brüder als Schwäne über den Wald weggeflogen wären, und zeigte ihm die Federn, die sie in dem Hof hatten fallen lassen und die es aufgelesen hatte. Der König trauerte, aber er dachte nicht, daß die Königin die böse Tat vollbracht hätte, und weil er fürchtete, das Mädchen würde ihm auch geraubt, so wollte er es mit fortnehmen. Aber es hatte Angst vor der Stiefmutter und bat den König, daß es nur noch diese Nacht im Waldschloß bleiben dürfte.
Das arme Mädchen dachte: Meines Bleibens ist nicht länger hier, ich will gehen und meine Brüder suchen. Und als die Nacht kam, entfloh es und ging gerade in den Wald hinein. Es ging die ganze Nacht durch und auch den andern Tag in einem fort, bis es vor Müdigkeit nicht weiterkonnte. Da sah es eine Wildhütte, stieg hinauf und fand eine Stube mit sechs kleinen Betten, aber es getraute nicht, sich in eins zu legen, sondern kroch unter eins, legte sich auf den harten Boden und wollte die Nacht da zubringen. Als aber die Sonne bald untergehen wollte, hörte es ein Rauschen und sah, daß sechs Schwäne zum Fenster hereingeflogen kamen. Sie setzten sich auf den Boden und bliesen einander an und bliesen sich alle Federn ab, und ihre Schwanenhaut streifte sich ab wie ein Hemd. Da sah sie das Mädchen an und erkannte ihre Brüder, freute sich und kroch unter dem Bett hervor. Die Brüder waren nicht weniger erfreut, als sie ihr Schwesterchen erblickten, aber ihre Freude war von kurzer Dauer.
"Hier kann deines Bleibens nicht sein," sprachen sie zu ihm, "das ist eine Herberge für Räuber, wenn die heimkommen und finden dich, so ermorden sie dich."
"Könnt ihr mich denn nicht beschützen?" fragte das Schwesterchen.
"Nein," antworteten sie, "denn wir können nur eine Viertelstunde lang jeden Abend unsere Schwanenhaut ablegen und haben in dieser Zeit unsere menschliche Gestalt, aber dann werden wir wieder in Schwäne verwandelt." Das Schwesterchen weinte und sagte: "Könnt ihr denn nicht erlöst werden?"
"Ach nein," antworteten sie, "die Bedingungen sind zu schwer. Du darfst sechs Jahre lang nicht sprechen und nicht lachen und mußt in der Zeit sechs Hemdchen für uns aus Sternenblumen zusammennähen. Kommt ein einziges Wort aus deinem Munde, so ist alle Arbeit verloren." Und als die Brüder das gesprochen hatten, war die Viertelstunde herum, und sie flogen als Schwäne wieder zum Fenster hinaus.
Das Mädchen aber faßte den festen Entschluß, seine Brüder zu erlösen, und wenn es auch sein Leben kostete. Es verließ die Wildhütte, ging mitten in den Wald und setzte sich auf einen Baum und brachte da die Nacht zu. Am andern Morgen ging es aus, sammelte Sternblumen und fing an zu nähen. Reden konnte es mit niemand, und zum Lachen hatte es keine Lust; es saß da und sah nur auf seine Arbeit. Als es schon lange Zeit da zugebracht hatte, geschah es, daß der König des Landes in dem Wald jagte und seine Jäger zu dem Baum kamen, auf welchem das Mädchen saß. Sie riefen es an und sagten: "Wer bist du?" Es gab aber keine Antwort. "Komm herab zu uns," sagten sie, "wir wollen dir nichts zuleid tun." Es schüttelte bloß mit dem Kopf. Als sie es weiter mit Fragen bedrängten, so warf es ihnen seine goldene Halskette herab und dachte sie damit zufriedenzustellen. Sie ließen aber nicht ab, da warf es ihnen seinen Gürtel herab, und als auch dies nicht half, seine Strumpfbänder, und nach und nach alles, was es anhatte und entbehren konnte, so daß es nichts mehr als sein Hemdlein behielt. Die Jäger ließen sich aber damit nicht abweisen, stiegen auf den Baum, hoben das Mädchen herab und führten es vor den König.
Der König fragte: "Wer bist du? Was machst du auf dem Baum?" Aber es antwortete nicht. Er fragte es in allen Sprachen, die er wußte, aber es blieb stumm wie ein Fisch. Weil es aber so schön war, so ward des Königs Herz gerührt, und er faßte eine große Liebe zu ihm. Er tat ihm seinen Mantel um, nahm es vor sich aufs Pferd und brachte es in sein Schloß. Da ließ er ihm reiche Kleider antun, und es strahlte in seiner Schönheit wie der helle Tag, aber es war kein Wort aus ihm herauszubringen. Er setzte es bei Tisch an seine Seite, und seine bescheidenen Mienen und seine Sittsamkeit gefielen ihm so sehr, daß er sprach: "Diese begehre ich zu heiraten und keine andere auf der Welt," und nach einigen Tagen vermählte er sich mit ihr.
Der König aber hatte eine böse Mutter, die war unzufrieden mit dieser Heirat und sprach schlecht von der jungen Königin. "Wer weiß, wo die Dirne her ist," sagte sie, "die nicht reden kann: Sie ist eines Königs nicht würdig" Über ein Jahr, als die Königin das erste Kind zur Welt brachte, nahm es ihr die Alte weg und bestrich ihr im Schlafe den Mund mit Blut. Da ging sie zum König und klagte sie an, sie wäre eine Menschenfresserin. Der König wollte es nicht glauben und litt nicht, daß man ihr ein Leid antat. Sie saß aber beständig und nähete an den Hemden und achtete auf nichts anderes. Das nächste Mal, als sie wieder einen schönen Knaben gebar, übte die falsche Schwiegermutter denselben Betrug aus, aber der König konnte sich nicht entschließen, ihren Reden Glauben beizumessen. Er sprach: "Sie ist zu fromm und gut, als daß sie so etwas tun könnte, wäre sie nicht stumm und könnte sie sich verteidigen, so würde ihre Unschuld an den Tag kommen." Als aber das dritte Mal die Alte das neugeborne Kind raubte und die Königin anklagte, die kein Wort zu ihrer Verteidigung vorbrachte, so konnte der König nicht anders, er mußte sie dem Gericht übergeben, und das verurteilte sie, den Tod durchs Feuer zu erleiden.
Als der Tag herankam, wo das Urteil sollte vollzogen werden, da war zugleich der letzte Tag von den sechs Jahren herum, in welchen sie nicht sprechen und nicht lachen durfte, und sie hatte ihre lieben Brüder aus der Macht des Zaubers befreit. Die sechs Hemden waren fertig geworden, nur daß an dem letzten der linke Ärmel noch fehlte. Als sie nun zum Scheiterhaufen geführt wurde, legte sie die Hemden auf ihren Arm, und als sie oben stand und das Feuer eben sollte angezündet werden, so schaute sie sich um, da kamen sechs Schwäne durch die Luft dahergezogen. Da sah sie, daß ihre Erlösung nahte, und ihr Herz regte sich in Freude.
Die Schwäne rauschten zu ihr her und senkten sich herab, so daß sie ihnen die Hemden überwerfen konnte; und wie sie davon berührt wurden, fielen die Schwanenhäute ab, und ihre Brüder standen leibhaftig vor ihr und waren frisch und schön; nur dem Jüngsten fehlte der linke Arm, und er hatte dafür einen Schwanenflügel am Rücken. Sie herzten und küßten sich, und die Königin ging zu dem Könige, der ganz bestürzt war, und fing an zu reden und sagte: "Liebster Gemahl, nun darf ich sprechen und dir offenbaren, daß ich unschuldig bin und fälschlich angeklagt," und erzählte ihm von dem Betrug der Alten, die ihre drei Kinder weggenommen und verborgen hätte. Da wurden sie zu großer Freude des Königs herbeigeholt, und die böse Schwiegermutter wurde zur Strafe auf den Scheiterhaufen gebunden und zu Asche verbrannt. Der König aber und die Königin mit ihren sechs Brüdern lebten lange Jahre in Glück und Frieden.
Diese Folge wird Ihnen von Podbean.com zur Verfügung gestellt.

Der alte Sultan

Monday Aug 12, 2024

Monday Aug 12, 2024

Es hatte ein Bauer einen treuen Hund, der Sultan hieß, der war alt geworden und hatte alle Zähne verloren, so daß er nichts mehr fest packen konnte. Zu einer Zeit stand der Bauer mit seiner Frau vor der Haustüre und sprach: "Den alten Sultan schieß ich morgen tot, der ist zu nichts mehr nütze." Die Frau, die Mitleid mit dem treuen Tiere hatte, antwortete: "Da er uns so lange Jahre gedient hat und ehrlich bei uns gehalten, so könnten wir ihm wohl das Gnadenbrot geben." - "Ei was," sagte der Mann, "du bist nicht recht gescheit; er hat keinen Zahn mehr im Maul, und kein Dieb fürchtet sich vor ihm, er kann jetzt abgehen. Hat er uns gedient, so hat er sein gutes Fressen dafür gekriegt."
Der arme Hund, der nicht weit davon in der Sonne ausgestreckt lag, hatte alles mit angehört und war traurig, daß morgen sein letzter Tag sein sollte. Er hatte einen guten Freund, das war der Wolf, zu dem schlich er abends hinaus in den Wald und klagte über das Schicksal, das ihm bevorstände. "Höre, Gevatter," sagte der Wolf, "sei guten Mutes, ich will dir aus deiner Not helfen. Ich habe etwas ausgedacht. Morgen in aller Frühe geht dein Herr mit seiner Frau ins Heu, und sie nehmen ihr kleines Kind mit, weil niemand im Hause zurückbleibt. Sie pflegen das Kind während der Arbeit hinter die Hecke in den Schatten zu legen. Lege dich daneben, gleich als wolltest du es bewachen. Ich will dann aus dem Walde herauskommen und das Kind rauben, du mußt mir eifrig nachspringen, als wolltest du mir es wieder abjagen. Ich lasse es fallen, und du bringst es den Eltern wieder zurück, die glauben dann, du hättest es gerettet, und sind viel zu dankbar, als daß sie dir ein Leid antun sollten; im Gegenteil, du kommst in völlige Gnade, und sie werden es dir an nichts mehr fehlen lassen."
Der Anschlag gefiel dem Hund, und wie er ausgedacht war, so ward er auch ausgeführt. Der Vater schrie, als er den Wolf mit seinem Kinde durchs Feld laufen sah; als es aber der alte Sultan zurückbrachte, da war er froh, streichelte ihn und sagte: "Dir soll kein Härchen gekrümmt werden, du sollst das Gnadenbrot essen, solange du lebst." Zu seiner Frau aber sprach er: "Geh gleich heim und koche dem alten Sultan einen Weckbrei, den braucht er nicht zu beißen, und bring das Kopfkissen aus meinem Bette, das schenk ich ihm zu seinem Lager." Von nun an hatte es der alte Sultan so gut, als er sich's nur wünschen konnte. Bald hernach besuchte ihn der Wolf und freute sich, daß alles so wohl gelungen war. "Aber, Gevatter," sagte er, "du wirst doch ein Auge zudrücken, wenn ich bei Gelegenheit deinem Herrn ein fettes Schaf weghole. Es wird einem heutzutage schwer, sich durchzuschlagen." - "Darauf rechne nicht," antwortete der Hund, "meinem Herrn bleibe ich treu, das darf ich nicht zugeben!" Der Wolf meinte, das wäre nicht im Ernste gesprochen, kam in der Nacht herangeschlichen und wollte sich das Schaf holen. Aber der Bauer, dem der treue Sultan das Vorhaben des Wolfes verraten hatte, paßte ihm auf und kämmte ihm mit dem Dreschflegel garstig die Haare. Der Wolf mußte ausreißen, schrie aber dem Hund zu: "Wart, du schlechter Geselle, dafür sollst du büßen!"
Am andern Morgen schickte der Wolf das Schwein und ließ den Hund hinaus in den Wald fordern, da wollten sie ihre Sache ausmachen. Der alte Sultan konnte keinen Beistand finden als eine Katze, die nur drei Beine hatte, und als sie zusammen hinausgingen, humpelte die arme Katze daher und streckte zugleich vor Schmerz den Schwanz in die Höhe. Der Wolf und sein Beistand waren schon an Ort und Stelle, als sie aber ihren Gegner daherkommen sahen, meinten sie, er führte einen Säbel mit sich, weil sie den aufgerichteten Schwanz der Katze dafür ansahen. Und wenn das arme Tier so auf drei Beinen hüpfte, dachten sie nichts anders, als es höbe jedesmal einen Stein auf, wollte damit auf sie werfen. Da ward ihnen beiden angst: Das wilde Schwein verkroch sich ins Laub, und der Wolf sprang auf einen Baum. Der Hund und die Katze, als sie herankamen, wunderten sich, daß sich niemand sehen ließ. Das wilde Schwein aber hatte sich im Laub nicht ganz verstecken können, sondern die Ohren ragten noch heraus. Während die Katze sich bedächtig umschaute, zwinste das Schwein mit den Ohren; die Katze, welche meinte, es regte sich da eine Maus, sprang darauf zu und biß herzhaft hinein. Da erhob sich das Schwein mit großem Geschrei, lief fort und rief: "Dort auf dem Baum, da sitzt der Schuldige." Der Hund und die Katze schauten hinauf und erblickten den Wolf, der schämte sich, daß er sich so furchtsam gezeigt hatte, und nahm von dem Hund den Frieden an.
Diese Folge wird Ihnen von Podbean.com zur Verfügung gestellt.

Von dem Machandelboom

Monday Aug 12, 2024

Monday Aug 12, 2024

Das ist nun lange her, wohl an die zweitausend Jahre, da war einmal ein reicher Mann, der hatte eine schöne fromme Frau, und sie hatten sich beide sehr lieb, hatten aber keine Kinder. Sie wünschten sich aber sehr welche, und die Frau betete darum soviel Tag und Nacht; aber sie kriegten und kriegten keine. Vor ihrem Hause war ein Hof, darauf stand ein Machandelbaum. Unter dem stand die Frau einstmals im Winter und schälte sich einen Apfel, und als sie sich den Apfel so schälte, da schnitt sie sich in den Finger, und das Blut fiel in den Schnee. "Ach," sagte die Frau und seufzte so recht tief auf, und sah das Blut vor sich an, und war so recht wehmütig: "Hätte ich doch ein Kind, so rot wie Blut und so weiss wie Schnee." Und als sie das sagte, da wurde ihr so recht fröhlich zumute: Ihr war so recht, als sollte es etwas werden. Dann ging sie nach Hause, und es ging ein Monat hin, da verging der Schnee; und nach zwei Monaten, da wurde alles grün; nach drei Monaten, da kamen die Blumen aus der Erde; und nach vier Monaten, da schossen alle Bäume ins Holz, und die grünen Zweige waren alle miteinander verwachsen. Da sangen die Vöglein, dass der ganze Wald erschallte, und die Blüten fielen von den Bäumen, da war der fünfte Monat vergangen, und sie stand immer unter dem Machandelbaum, der roch so schön. Da sprang ihr das Herz vor Freude, und sie fiel auf die Knie und konnte sich gar nicht lassen. Und als der sechste Monat vorbei war, da wurden die Früchte dick und stark, und sie wurde ganz still. Und im siebenten Monat, da griff sie nach den Machandelbeeren und ass sie so begehrlich; und da wurde sie traurig und krank. Da ging der achte Monat hin, und sie rief ihren Mann und weinte und sagte: "Wenn ich sterbe, so begrabe mich unter dem Machandelbaum." Da wurde sie ganz getrost und freute sich, bis der neunte Monat vorbei war: da kriegte sie ein Kind so weiss wie der Schnee und so rot wie Blut, und als sie das sah, da freute sie sich so, dass sie starb.
Da begrub ihr Mann sie unter dem Machandelbaum, und er fing an, so sehr zu weinen; eine Zeitlang dauerte das, dann flossen die Tränen schon sachter, und als er noch etwas geweint hatte, da hörte er auf, und dann nahm er sich wieder eine Frau.
Mit der zweiten Frau hatte er eine Tochter; das Kind aber von der ersten Frau war ein kleiner Sohn, und war so rot wie Blut und so weiss wie Schnee. Wenn die Frau ihre Tochter so ansah, so hatte sie sie sehr lieb; aber dann sah sie den kleinen Jungen an, und das ging ihr so durchs Herz, und es dünkte sie, als stünde er ihr überall im Wege, und sie dachte dann immer, wie sie ihrer Tochter all das Vermögen zuwenden wollte, und der Böse gab es ihr ein, dass sie dem kleinen Jungen ganz gram wurde, und sie stiess ihn aus einer Ecke in die andere, und puffte ihn hier und knuffte ihn dort, so dass das arme Kind immer in Angst war. Wenn er dann aus der Schule kam, so hatte er keinen Platz, wo man ihn in Ruhe gelassen hätte.
Einmal war die Frau in die Kammer hoch gegangen; da kam die kleine Tochter auch herauf und sagte: "Mutter, gib mir einen Apfel." - "Ja, mein Kind," sagte die Frau und gab ihr einen schönen Apfel aus der Kiste; die Kiste aber hatte einen grossen schweren Deckel mit einem grossen scharfen eisernen Schloss. "Mutter," sagte die kleine Tochter, "soll der Bruder nicht auch einen haben?" Das verdross die Frau, doch sagte sie: "Ja, wenn er aus der Schule kommt." Und als sie ihn vom Fenster aus gewahr wurde, so war das gerade, als ob der Böse in sie gefahren wäre, und sie griff zu und nahm ihrer Tochter den Apfel wieder weg und sagte; "Du sollst ihn nicht eher haben als der Bruder." Da warf sie den Apfel in die Kiste und machte die Kiste zu. Da kam der kleine Junge in die Tür; da gab ihr der Böse ein, dass sie freundlich zu ihm sagte: "Mein Sohn, willst du einen Apfel haben?" und sah ihn so jähzornig an. "Mutter," sagte der kleine Junge, "was siehst du so grässlich aus! Ja, gib mir einen Apfel!" - "Da war ihr, als sollte sie ihm zureden. "Komm mit mir," sagte sie und machte den Deckel auf, "hol dir einen Apfel heraus!" Und als der kleine Junge sich hineinbückte, da riet ihr der Böse; bratsch! Schlug sie den Deckel zu, dass der Kopf flog und unter die roten Äpfel fiel. Da überlief sie die Angst, und sie dachte: "Könnt ich das von mir bringen!" Da ging sie hinunter in ihre Stube zu ihrer Kommode und holte aus der obersten Schublade ein weisses Tuch und setzt den Kopf wieder auf den Hals und band das Halstuch so um, dass man nichts sehen konnte und setzt ihn vor die Türe auf einen Stuhl und gab ihm den Apfel in die Hand.
Darnach kam Marlenchen zu ihrer Mutter in die Küche. Die stand beim Feuer und hatte einen Topf mit heissem Wasser vor sich, den rührte sie immer um. "Mutter," sagte Marlenchen, "der Bruder sitzt vor der Türe und sieht ganz weiss aus und hat einen Apfel in der Hand. Ich hab ihn gebeten, er soll mir den Apfel geben, aber er antwortet mir nicht; das war mir ganz unheimlich." - "Geh noch einmal hin," sagte die Mutter, "und wenn er dir nicht antwortet, dann gib ihm eins hinter die Ohren." Da ging Marlenchen hin und sagte: "Bruder, gib mir den Apfel!" Aber er schwieg still; da gab sie ihm eins hinter die Ohren. Da fiel der Kopf herunter; darüber erschrak sie und fing an zu weinen und zu schreien und lief zu ihrer Mutter und sagte: "Ach, Mutter, ich hab meinem Bruder den Kopf abgeschlagen," und weinte und weinte und wollte sich nicht zufrieden geben. "Marlenchen," sagte die Mutter, "was hast du getan! Aber schweig nur still, dass es kein Mensch merkt; das ist nun doch nicht zu ändern, wir wollen ihn in Sauer kochen." Da nahm die Mutter den kleinen Jungen und hackte ihn in Stücke, tat sie in den Topf und kochte ihn in Sauer. Marlenchen aber stand dabei und weinte und weinte, und die Tränen fielen alle in den Topf, und sie brauchten kein Salz.
Da kam der Vater nach Hause und setzte sich zu Tisch und sagte: "Wo ist denn mein Sohn?" Da trug die Mutter eine grosse, grosse Schüssel mit Schwarzsauer auf, und Marlenchen weinte und konnte sich nicht halten. Da sagte der Vater wieder: "Wo ist denn mein Sohn?" - "Ach," sagte die Mutter, "er ist über Land gegangen, zu den Verwandten seiner Mutter; er wollte dort eine Weile bleiben." - "Was tut er denn dort? Er hat mir nicht mal Lebewohl gesagt!" - "Oh, er wollte so gern hin und bat mich, ob er dort wohl sechs Wochen bleiben könnte; er ist ja gut aufgehoben dort." - "Ach," sagte der Mann, "mir ist so recht traurig zumute; das ist doch nicht recht, er hätte mir doch Lebewohl sagen können." Damit fing er an zu essen und sagte: "Marlenchen, warum weinst du? Der Bruder wird schon wiederkommen." - "Ach Frau," sagte er dann, "was schmeckt mir das Essen schön! Gib mir mehr!" Und je mehr er ass, um so mehr wollte er haben und sagte: "Gebt mir mehr, ihr sollt nichts davon aufheben, das ist, als ob das alles mein wäre." Und er ass und ass, und die Knochen warf er alle unter den Tisch, bis er mit allem fertig war. Marlenchen aber ging hin zu ihrer Kommode und nahm aus der untersten Schublade ihr bestes seidenes Tuch und holte all die Beinchen und Knochen unter dem Tisch hervor und band sie in das seidene Tuch und trug sie vor die Tür und weinte blutige Tränen. Dort legte sie sie unter den Machandelbaum in das grüne Gras, und als sie sie dahin gelegt hatte, da war ihr auf einmal ganz leicht, und sie weinte nicht mehr. Da fing der Machandelbaum an, sich zu bewegen, und die zweige gingen immer so voneinander und zueinander, so recht, wie wenn sich einer von Herzen freut und die Hände zusammenschlägt. Dabei ging ein Nebel von dem Baum aus, und mitten in dem Nebel, da brannte es wie Feuer, und aus dem Feuer flog so ein schöner Vogel heraus, der sang so herrlich und flog hoch in die Luft, und als er weg war, da war der Machandelbaum wie er vorher gewesen war, und das Tuch mit den Knochen war weg. Marlenchen aber war so recht leicht und vergnügt zumute, so recht, als wenn ihr Bruder noch lebte. Da ging sie wieder ganz lustig nach Hause, setzte sich zu Tisch und ass. Der Vogel aber flog weg und setzte sich auf eines Goldschmieds Haus und fing an zu singen:
"Mein Mutter der mich schlacht,mein Vater der mich ass,mein Schwester der Marlenichensucht alle meine Benichen,bindt sie in ein seiden Tuch,legt's unter den Machandelbaum.Kiwitt, kiwitt, wat vör'n schöön Vagel bün ik!"
Der Goldschmied sass in seiner Werkstatt und machte eine goldene Kette; da hörte er den Vogel, der auf seinem Dach sass und sang, und das dünkte ihn so schön. Da stand er auf, und als er über die Türschwelle ging, da verlor er einen Pantoffel. Er ging aber so recht mitten auf die Strasse hin, mit nur einem Pantoffel und einer Socke; sein Schurzfell hatte er vor, und in der einen Hand hatte er die goldene Kette, und in der anderen die Zange; und die Sonne schien so hell auf die Strasse. Da stellte er sich nun hin und sah den Vogel an. "Vogel," sagte er da, "wie schön kannst du singen! Sing mir das Stück noch mal!" - "Nein," sagte der Vogel, "zweimal sing ich nicht umsonst. Gib mir die goldene Kette, so will ich es dir noch einmal singen." - "Da," sagte der Goldschmied, "hast du die goldene Kette; nun sing mir das noch einmal!" Da kam der Vogel und nahm die goldene Kette in die rechte Kralle, setzte sich vor den Goldschmied hin und sang: "Mein Mutter der mich schlacht, mein Vater der mich ass, mein Schwester der Marlenichen, sucht alle meine Benichen, bindt sie in ein seiden Tuch, legt's unter den Machandelbaum. Kiwitt, kiwitt, wat vör'n schöön Vagel bün ik!"
Da flog der Vogel fort zu einem Schuster, und setzt sich auf sein Dach und sang: "Mein Mutter der mich schlacht, mein Vater der mich ass, mein Schwester der Marlenichen, sucht alle meine Benichen, bindt sie in ein seiden Tuch, legt's unter den Machandelbaum. Kiwitt, kiwitt, wat vör'n schöön Vagel bün ik!"
Der Schuster hörte das und lief in Hemdsärmeln vor seine Tür und sah zu seinem Dach hinauf und musste die Hand vor die Augen halten, dass die Sonne ihn nicht blendete. "Vogel," sagte er, "was kannst du schön singen." Da rief er zur Tür hinein: "Frau, komm mal heraus, da ist ein Vogel; sieh doch den Vogel, der kann mal schön singen." Dann rief er noch seine Tochter und die Kinder und die Gesellen, die Lehrjungen und die Mägde, und sie kamen alle auf die Strasse und sahen den Vogel an, wie schön er war; und er hatte so schöne rote und grüne Federn, und um den Hals war er wie lauter Gold, und die Augen blickten ihm wie Sterne im Kopf. "Vogel," sagte der Schuster, "nun sing mir das Stück noch einmal!" - "Nein," sagte der Vogel, "zweimal sing ich nicht umsonst, du musst mir etwas schenken." - "Frau," sagte der Mann, "geh auf den Boden, auf dem obersten Wandbrett, da stehen ein paar rote Schuh, die bring mal her!" Da ging die Frau hin und holte die Schuhe. "Da, Vogel," sagte der Mann, "nun sing mir das Lied noch einmal!" Da kam der Vogel und nahm die Schuhe in die linke Kralle und flog wieder auf das Dach und sang:
"Mein Mutter der mich schlacht,mein Vater der mich ass,mein Schwester der Marlenichensucht alle meine Benichen,bindt sie in ein seiden Tuch,legt's unter den Machandelbaum.Kiwitt, kiwitt, wat vör'n schöön Vagel bün ik!"
Und als er ausgesungen hatte, da flog er weg; die Kette hatte er in der rechten und die Schuhe in der linken Kralle, und er flog weit weg, bis zu einer Mühle, und die Mühle ging: Klippe klappe, klippe klappe, klippe klappe. Und in der Mühle sassen zwanzig Mühlknappen, die klopften einen Stein und hackten: Hick hack, hick hack, hick hack; und die Mühle ging klippe klappe, klippe klappe, klippe klappe. Da setzte sich der Vogel auf einen Lindenbaum, der vor der Mühle stand und sang: "Mein Mutter der mich schlacht," da hörte einer auf; "mein Vater der mich ass," da hörten noch zwei auf und hörten zu; "mein Schwester der Marlenichen" da hörten wieder vier auf; "sucht alle meine Benichen, bindt sie in ein seiden Tuch," nun hackten nur acht; "legt's unter," nun nur noch fünf; "den Machandelbaum" – nun nur noch einer; "Kiwitt, kiwitt, wat vör'n schöön Vagel bün ik!" Da hörte der letzte auch auf, und er hatte gerade noch den Schluss gehört. "Vogel," sagte er, "was singst du schön!" Lass mich das auch hören, sing mir das noch einmal!" - "Neun," sagte der Vogel, "zweimal sing ich nicht umsonst; gib mir den Mühlenstein, so will ich das noch einmal singen." - "Ja," sagte er, "wenn er mir allein gehörte, so solltest du ihn haben." - "Ja," sagten die anderen, "wenn er noch einmal singt, so soll er ihn haben." Da kam der Vogel heran und die Müller fassten alle zwanzig mit Bäumen an und hoben den Stein auf, "hu uh uhp, hu uh uhp, hu uh uhp!" Da steckte der Vogel den Hals durch das Loch und nahm ihn um wie einen Kragen und flog wieder auf den Baum und sang:
"Mein Mutter der mich schlacht,mein Vater der mich ass,mein Schwester der Marlenichensucht alle meine Benichen,bindt sie in ein seiden Tuch,legt's unter den Machandelbaum.Kiwitt, kiwitt, wat vör'n schöön Vagel bün ik!"
Und als er das ausgesungen hatte, da tat er die Flügel auseinander und hatte in der echten Kralle die Kette und in der linken die Schuhe und um den Hals den Mühlenstein, und flog weit weg zu seines Vaters Haus.
In der Stube sass der Vater, die Mutter und Marlenchen bei Tisch, und der Vater sagte: "Ach, was wird mir so leicht, mir ist so recht gut zumute." - "Nein," sagte die Mutter, "mir ist so recht angst, so recht, als wenn ein schweres Gewitter käme." Marlenchen aber sass und weinte und weinte. Da kam der Vogel angeflogen, und als er sich auf das Dach setzte, da sagte der Vater: "Ach, mir ist so recht freudig, und die Sonne scheint so schön, mir ist ganz, als sollte ich einen alten Bekannten wiedersehen!" - "Nein," sagte die Frau, "mir ist angst, die Zähne klappern mir und mir ist, als hätte ich Feuer in den Adern." Und sie riss sich ihr Kleid auf, um Luft zu kriegen. Aber Marlenchen sass in der Ecke und weinte, und hatte ihre Schürze vor den Augen und weinte die Schürze ganz und gar nass. Da setzte sich der Vogel auf den Machandelbaum und sang: "Meine Mutter die mich schlacht" - Da hielt sich die Mutter die Ohren zu und kniff die Augen zu und wollte nicht sehen und hören, aber es brauste ihr in den Ohren wie der allerstärkste Sturm und die Augen brannten und zuckten ihr wie Blitze. "Mein Vater der mich ass" - "Ach Mutter," sagte der Mann, "da ist ein schöner Vogel, der singt so herrlich und die Sonne scheint so warm, und das riecht wie lauter Zinnamom." (Zimt) "Mein Schwester der Marlenichen" - Da legte Marlenchen den Kopf auf die Knie und weinte in einem fort. Der Mann aber sagte: "Ich gehe hinaus; ich muss den Vogel in der Nähe sehen." - "Ach, geh nicht," sagte die Frau, "mir ist, als bebte das ganze Haus und stünde in Flammen." Aber der Mann ging hinaus und sah sich den Vogel an - "sucht alle meine Benichen, bindt sie in ein seiden Tuch, legt's unter den Machandelbaum. Kiwitt, kiwitt, wat vör'n schöön Vagel bün ik!"
Damit liess der Vogel die goldene Kette fallen, und sie fiel dem Mann gerade um den Hals, so richtig herum, dass sie ihm ganz wunderschön passte. Da ging er herein und sagte: "Sieh, was ist das für ein schöner Vogel, hat mir eine so schöne goldene Kette geschenkt und sieht so schön aus." Der Frau aber war so angst, dass sie lang in die Stube hinfiel und ihr die Mütze vom Kopf fiel. Da sang der Vogel wieder: "Mein Mutter der mich schlacht" - "Ach, dass ich tausend Klafter unter der Erde wäre, dass ich das nicht zu hören brauchte!" - "Mein Vater der mich ass" - Da fiel die Frau wie tot nieder. "Mein Schwester der Marlenichen" - "Ach," sagte Marlenchen, "ich will doch auch hinausgehen und sehn, ob mir der Vogel etwas schenkt?" Da ging sie hinaus. "Sucht alle meine Benichen, bindt sie in ein seiden Tuch" - Da warf er ihr die Schuhe herunter. "Legt's unter den Machandelbaum. Kiwitt, kiwitt, wat vör'n schöön Vagel bün ik!"
Da war ihr so leicht und fröhlich. Sie zog sich die neuen roten Schuhe an und tanzte und sprang herein. "Ach," sagte sie, "mir war so traurig, als ich hinausging, und nun ist mir so leicht. Das ist mal ein herrlicher Vogel, hat mir ein Paar rote Schuhe geschenkt!" - "Nein," sagte die Frau und sprang auf, und die Haare standen ihr zu Berg wie Feuerflammen, "mir ist, als sollte die Welt untergehen; ich will auch hinaus, damit mir leichter wird." Und als sie aus der Tür kam, bratsch! Warf ihr der Vogel den Mühlstein auf den Kopf, dass sie ganz zerquetscht wurde. Der Vater und Marlenchen hörten das und gingen hinaus. Da ging ein Dampf und Flammen und Feuer aus von der Stätte, und als das vorbei war, da stand der kleine Bruder da, und er nahm seinen Vater und Marlenchen bei der Hand und waren alle drei so recht vergnügt und gingen ins Haus, setzten sich an den Tisch und assen.
Diese Folge wird Ihnen von Podbean.com zur Verfügung gestellt.

Fitchers Vogel

Monday Aug 12, 2024

Monday Aug 12, 2024

Es war einmal ein Hexenmeister, der nahm die Gestalt eines armen Mannes an, ging vor die Häuser und bettelte und fing die schönen Mädchen. Kein Mensch wußte, wo er sie hinbrachte, denn sie kamen nie wieder zum Vorschein. Nun trat er auch einmal vor die Thüre eines Mannes, der drei schöne Töchter hatte, sah aus wie ein armer schwacher Bettler und trug eine Kötze auf dem Rücken, als wollte er milde Gaben darin sammeln. Er bat um ein bischen Essen, und als die älteste herauskam und ihm ein Stück Brot reichen wollte, rührte er sie nur an, und sie mußte in seine Kötze springen. Darauf eilte er mit starken Schritten fort und trug sie in einen finstern Wald zu seinem Haus, das mitten darin stand. In dem Haus war alles prächtig: er gab ihr, was sie nur wünschte und sprach: "Mein Schatz, es wird dir wohl gefallen bei mir, denn du hast alles, was dein Herz begehrt." Das dauerte ein paar Tage, da sagte er: "Ich muß fortreisen und dich eine kurze Zeit allein lassen, da sind die Hausschlüssel: du kannst überall hingehen und alles betrachten, nur nicht in eine Stube, die dieser kleine Schlüssel da aufschließt, das verbiet ich dir bei Lebensstrafe." Auch gab er ihr ein Ei und sprach: "Das Ei verwahre mir sorgfältig und trag es lieber beständig bei dir, denn gienge es verloren, so würde ein großes Unglück daraus entstehen." Sie nahm die Schlüssel und das Ei, und versprach alles wohl auszurichten. Als er fort war, gieng sie in dem Haus herum von unten bis oben und besah alles: die Stuben glänzten von Silber und Gold und sie meinte, sie hätte nie so große Pracht gesehen. Endlich kam sie auch zu der verbotenen Thür, sie wollte vorüber gehen, aber die Neugierde ließ ihr keine Ruhe. Sie besah den Schlüssel, er sah aus wie ein anderer, sie steckte ihn ein und drehte ein wenig, da sprang die Thür auf. Aber was erblickte sie, als sie hinein trat: ein großes blutiges Becken stand in der Mitte, und darin lagen todte zerhauene Menschen: daneben stand ein Holzblock und ein blinkendes Beil lag darauf. Sie erschrak so sehr, daß das Ei, das sie in der Hand hielt, hineinplumpte. Sie holte es wieder heraus und wischte das Blut ab, aber vergeblich, es kam den Augenblick wieder zum Vorschein, sie wischte und schabte, aber sie konnte es nicht herunterkriegen.
Nicht lange, so kam der Mann von der Reise zurück, und das erste, was er forderte, war der Schlüssel und das Ei. Sie reichte es ihm hin, aber sie zitterte dabei, und er sah gleich an den rothen Flecken, daß sie in der Blutkammer gewesen war. "Bist du gegen meinen Willen in die Kammer gegangen," sprach er, "so sollst du jetzt gegen deinen Willen wieder hinein. Dein Leben ist zu Ende." Er warf sie nieder, schleifte sie an den Haaren hin, schlug ihr das Haupt auf dem Block ab und zerhackte sie, daß ihr rothes Blut auf dem Boden dahin floß. Dann warf er sie zu den übrigen ins Becken.
"Jetzt will ich mir die zweite holen," sprach der Hexenmeister, gieng wieder in Gestalt eines armen Mannes vor das Haus und bettelte. Da brachte ihm die zweite ein Stück Brot, und er fieng sie wie die erste durch ein bloßes Anrühren und trug sie fort. Es ergieng ihr nicht besser als ihrer Schwester, sie ließ sich von ihrer Neugierde verleiten, öffnete die Blutkammer und mußte es bei seiner Rückkehr mit dem Leben büßen. Er gieng nun und holte die dritte. Die aber war klug und listig. Als er ihr Schlüssel und Ei gegeben hatte und fortgereist war, verwahrte sie das Ei erst sorgfältig, dann besah sie das Haus und gieng zuletzt in die verbotene Kammer. Ach, was erblickte sie! ihre beiden lieben Schwestern lagen, jämmerlich ermordet, in dem Becken. Aber sie hub an und suchte die Glieder zusammen und legte sie zurecht, Kopf, Leib, Arm und Beine. Und als nichts mehr fehlte, da fiengen die Glieder an sich zu regen und schlossen sich aneinander: und beide Mädchen öffneten die Augen und waren wieder lebendig. Wie freueten sie sich, küßten und herzten einander! Dann führte sie die beiden heraus und versteckte sie. Der Mann forderte bei seiner Ankunft Schlüssel und Ei und als er keine Spur von Blut daran entdecken konnte, sprach er: "Du hast die Probe bestanden, du sollst meine Braut sein." Er hatte aber jetzt keine Macht mehr über sie und mußte thun, was sie verlangte. "Wohlan," antwortete sie, "du sollst vorher einen Korb voll Gold meinem Vater und meiner Mutter bringen und selbst auf deinem Rücken hintragen, dieweil will ich die Hochzeit hier bestellen." Darauf gieng sie in ihr Kämmerlein, wo sie ihre Schwestern versteckt hatte. "Jetzt," sprach sie, "ist der Augenblick gekommen, wo ich euch retten kann, der Bösewicht soll euch selbst wieder heimtragen: aber sobald ihr zu Hause seid, laßt mir Hilfe zukommen." Dann setzte sie beide in einen Korb und deckte sie mit Gold ganz zu, daß nichts von ihnen zu sehen war, und rief den Hexenmeister herein und sprach: "Nun trag den Korb fort, aber daß du mir unterwegs nicht stehen bleibst und ruhest, ich schaue durch mein Fensterlein und habe acht."
Der Hexenmeister hob den Korb auf seinen Rücken und gieng damit fort, er ward ihm aber so schwer, daß ihm der Schweiß über das Angesicht lief und er fürchtete todtgedrückt zu werden. Da setzte er sich nieder und wollte ein wenig ruhen, aber gleich rief eine im Korbe: "Ich schaue durch mein Fensterlein und sehe, daß du ruhst, willst du weiter." Er meinte, die Braut rief ihm das zu und machte sich wieder auf. Nochmals wollte er sich setzen, da rief es abermals "ich schaue durch mein Fensterlein und sehe, daß du ruhst, willst du gleich weiter". Und so oft er stillstand, rief es, und da mußte er fort, bis er endlich ganz außer Athem den Korb mit dem Gold und den beiden Mädchen in ihrer Eltern Haus brachte.
Daheim aber ordnete die Braut das Hochzeitsfest an. Sie nahm einen Todtenkopf mit grinsenden Zähnen und setzte ihm einen Schmuck auf und trug ihn oben vors Bodenloch und ließ ihn da herausschauen. Dann ladete sie die Freunde des Hexenmeisters zum Fest ein, und wie das geschehen war, steckte sie sich in ein Faß mit Honig, schnitt das Bett auf und wälzte sich darin, daß sie aussah wie ein wunderlicher Vogel und kein Mensch sie erkennen konnte. Da gieng sie zum Haus hinaus, und unterwegs begegnete ihr ein Theil der Hochzeitsgäste, die fragten:
"Du Fitchers Vogel, wo kommst du her?""Ich komme von Fitze Fitchers Hause her.""Was macht denn da die junge Braut?""Hat gekehrt von unten bis oben das Hausund guckt zum Bodenloch heraus."
Endlich begegnete ihr der Bräutigam, der langsam zurückwanderte. Er fragte wie die andern:
"Du Fitchers Vogel, wo kommst du her?""Ich komme von Fitze Fitchers Hause her.""Was macht denn da meine junge Braut?""Hat gekehrt von unten bis oben das Hausund guckt zum Bodenloch heraus."
Der Bräutigam schaute hinauf und sah den geputzten Todtenkopf: da meinte er, es wäre seine Braut und nickte ihr zu und grüßte sie freundlich. Wie er aber sammt seinen Gästen ins Haus gegangen war, da kam die Hilfe von den Schwestern an. Sie schlossen alle Thüren des Hauses zu, daß niemand entfliehen konnte, und steckten es an, daß der Hexenmeister mitsamt seinem Gesindel verbrannte.
Diese Folge wird Ihnen von Podbean.com zur Verfügung gestellt.

Daumerlings Wanderschaft

Monday Aug 12, 2024

Monday Aug 12, 2024

Ein Schneider hatte einen Sohn, der war klein geraten und nicht größer als ein Daumen, darum hieß er auch der Daumerling. Er hatte aber Courage im Leibe und sagte zu seinem Vater 'Vater, ich soll und muß in die Welt hinaus.' 'Recht, mein Sohn,' sprach der Alte, nahm eine lange Stopfnadel und machte am Licht einen Knoten von Siegellack daran, 'da hast du auch einen Degen mit auf den Weg.' Nun wollte das Schneiderlein noch einmal mitessen und hüpfte in die Küche, um zu sehen, was die Frau Mutter zu guter Letzt gekocht hätte. Es war aber eben angerichtet, und die Schüssel stand auf dem Herd. Da sprach es 'Frau Mutter, was gibts heute zu essen?' 'Sieh du selbst zu'' sagte die Mutter. Da sprang Daumerling auf den Herd und guckte in die Schüssel: weil er aber den Hals zu weit hineinstreckte, faßte ihn der Dampf von der Speise und trieb ihn zum Schornstein hinaus. Eine Weile ritt er auf dem Dampf in der Luft herum, bis er endlich wieder auf die Erde herabsank. Nun war das Schneiderlein draußen in der weiten Welt, zog umher, ging auch bei einem Meister in die Arbeit, aber das Essen war ihm nicht gut genug. 'Frau Meisterin, wenn sie uns kein besser Essen gibt,' sagte Daumerling, 'so gehe ich fort und schreibe morgen früh mit Kreide an ihre Haustüre: Kartoffel zu viel, Fleisch zu wenig, adies, Herr Kartoffelkönig.' 'Was willst du wohl, Grashüpfer?' sagte die Meisterin, ward bös, ergriff einen Lappen und wollte nach ihm schlagen: mein Schneiderlein kroch behende unter den Fingerhut, guckte unten hervor und streckte der Frau Meisterin die Zunge heraus. Sie hob den Fingerhut auf und wollte ihn packen, aber der kleine Daumerling hüpfte in die Lappen, und wie die Meisterin die Lappen auseinanderwarf und ihn suchte, machte er sich in den Tischritz. 'He, he, Frau Meisterin,' rief er und steckte den Kopf in die Höhe, und wenn sie zuschlagen wollte, sprang er in die Schublade hinunter. Endlich aber erwischte sie ihn doch und jagte ihn zu m Haus hinaus.
Das Schneiderlein wanderte und kam in einen großen Wald, da begegnete ihm ein Haufen Räuber, die hatten vor, des Königs Schatz zu bestehlen. Als sie das Schneiderlein sahen, dachten sie 'so ein kleiner Kerl kann durch ein Schlüsselloch kriechen und uns als Dietrich dienen.' 'Heda,' rief einer, 'du Riese Goliath, willst du mit zur Schatzkammer gehen? du kannst dich hineinschleichen und das Geld herauswerfen.' Der Daumerling besann sich, endlich sagte er 'ja, und ging mit zu der Schatzkammer. Da besah er die Türe oben und unten, ob kein Ritz darin wäre. Nicht lange, so entdeckte er einen, der breit genug war, um ihn einzulassen. Er wollte auch gleich hindurch, aber eine von den beiden Schildwachen, die vor der Tür standen, bemerkte ihn und sprach zu der andern 'was kriecht da für eine häßliche Spinne? ich will sie tottreten.' 'Laß das arme Tier gehen,' sagte die andere, 'es hat dir ja nichts getan.' Nun kam der Daumerling durch den Ritz glücklich in die Schatzkammer, öffnete das Fenster, unter welchem die Räuber standen, und warf ihnen einen Taler nach dem andern hinaus. Als das Schneiderlein in der besten Arbeit war, hörte es den König kommen, der seine Schatzkammer besehen wollte, und verkroch sich eilig. Der König merkte, daß viele harte Taler fehlten, konnte aber nicht begreifen, wer sie sollte gestohlen haben, da Schlösser und Riegel in gutem Zustand waren, und alles wohl verwahrt schien. Da ging er wieder fort und sprach zu den zwei Wachen 'habt acht, es ist einer hinter dem Geld.' Als der Daumerling nun seine Arbeit von neuem anfing, hörten sie das Geld drinnen sich regen und klingen klipp, klapp, klipp, klapp. Sie sprangen geschwind hinein und wollten den Dieb greifen. Aber das Schneiderlein, das sie kommen hörte, war noch geschwinder, sprang in eine Ecke und deckte einen Taler über sich, so daß nichts von ihm zu sehen war, dabei neckte es noch die Wachen und rief 'hier bin ich.' Die Wach en liefen dahin, wie sie aber ankamen, war es schon in eine andere Ecke unter einen Taler gehüpft und rief 'he, hier bin ich.' Die Wachen sprangen eilends herbei, Daumerling war aber längst in einer dritten Ecke und rief 'he, hier bin ich.' Und so hatte es sie zu Narren und trieb sie so lange in der Schatzkammer herum, bis sie müde waren und davongingen. Nun warf es die Taler nach und nach alle hinaus: den letzten schnellte es mit aller Macht' hüpfte dann selber noch behendiglich darauf und flog mit ihm durchs Fenster hinab. Die Räuber machten ihm große Lobsprüche, 'du bist ein gewaltiger Held,' sagten sie, 'willst du unser Hauptmann werden?' Daumerling bedankte sich aber und sagte, er wollte erst die Welt sehen. Sie teilten nun die Beute, das Schneiderlein aber verlangte nur einen Kreuzer, weil es nicht mehr tragen konnte.
Darauf schnallte es seinen Degen wieder um den Leib, sagte den Räubern guten Tag und nahm den Weg zwischen die Beine. Es ging bei einigen Meistern in Arbeit, aber sie wollte ihm nicht schmecken, endlich verdingte es sich als Hausknecht in einem Gasthof. Die Mägde aber konnten es nicht leiden, denn ohne daß sie ihn sehen konnten, sah er alles, was sie heimlich taten, und gab bei der Herrschaft an, was sie sich von den Tellern genommen und aus dem Keller für sich weggeholt hatten. Da sprachen sie 'wart, wir wollen dirs eintränken,' und verabredeten untereinander, ihm einen Schabernack anzutun. Als die eine Magd bald hernach im Garten mähte, und den Daumerling da herumspringen und an den Kräutern auf- und abkriechen sah, mähte sie ihn mit dem Gras schnell zusammen, band alles in ein großes Tuch und warf es heimlich den Kühen vor. Nun war eine große schwarze darunter, die schluckte ihn mit hinab, ohne ihm weh zu tun. Unten gefiels ihm aber schlecht, denn es war da ganz finster und brannte auch kein Licht. Als die Kuh gemelkt wurde, da rief er 'strip, strap, stroll, ist der Eimer bald voll?'
Doch bei dem Geräusch des Melkens wurde er nicht verstanden. Hernach trat der Hausherr in den Stall und sprach 'morgen soll die Kuh da geschlachtet werden.' Da war dem Daumerling angst, daß er mit heller Stimme rief 'laßt mich erst heraus, ich sitze ja drin.' Der Herr hörte das wohl, wußte aber nicht, wo die Stimme herkam. 'Wo bist du?' fragte er. 'In der schwarzen,' antwortete er, aber der Herr verstand nicht, was das heißen sollte, und ging fort.
Am andern Morgen ward die Kuh geschlachtet. Glücklicherweise traf bei dem Zerhacken und Zerlegen den Daumerling kein Hieb, aber er geriet unter das Wurstfleisch. Wie nun der Metzger herbeitrat und seine Arbeit anfing, schrie er aus Leibeskräften 'hackt nicht zu tief, hackt nicht zu tief, ich stecke ja drunter.' Von dem Lärmen der Hackmesser hörte das kein Mensch. Nun hatte der arme Daumerling seine Not' aber die Not macht Beine, und da sprang er so behend zwischen den Hackmessern durch, daß ihn keins anrührte und er mit heiler Haut davonkam. Aber entspringen konnte er auch nicht: es war keine andere Auskunft, er mußte sich mit den Speckbrocken in eine Blutwurst hinunterstopfen lassen. Da war das Quartier etwas enge, und dazu ward er noch in den Schornstein zum Räuchern aufgehängt, wo ihm Zeit und Weile gewaltig lang wurde. Endlich im Winter wurde er heruntergeholt. weil die Wurst einem Gast sollte vorgesetzt werden. Als nun die Frau Wirtin die Wurst in Scheiben schnitt, nahm er sich in acht, daß er den Kopf nicht zu weit vorstreckte, damit ihm nicht etwa der Hals mit abgeschnitten würde: endlich ersah er seinen Vorteil, machte sich Luft und sprang heraus.
In dem Hause aber, wo es ihm so übel ergangen war, wollte das Schneiderlein nicht Iänger mehr bleiben, sondern begab sich gleich wieder auf die Wanderung. Doch seine Freiheit dauerte nicht lange. Auf dem offenen Feld kam es einem Fuchs in den Weg, der schnappte es in Gedanken auf. 'Ei, Herr Fuchs,' riefs Schneiderlein, 'ich bins ja, der in Eurem Hals steckt, laßt mich wieder frei.' 'Du hast recht,' antwortete der Fuchs' 'an dir habe ich doch so viel als nichts; versprichst du mir die Hühner in deines Vaters Hof, so will ich dich loslassen.' 'Von Herzen gern,' antwortete der Daumerling, 'die Hühner sollst du alle haben, das gelobe ich dir.' Da ließ ihn der Fuchs wieder los und trug ihn selber heim. Als der Vater sein liebes Söhnlein wiedersah, gab er dem Fuchs gern alle die Hühner, die er hatte. 'Dafür bring ich dir auch ein schön Stück Geld mit,' sprach der Daumerling und reichte ihm den Kreuzer, den er auf seiner Wanderschaft erworben hatte.
'Warum hat aber der Fuchs die armen Piephühner zu fressen kriegt?' 'Ei, du Narr, deinem Vater wird ja wohl sein Kind lieber sein als die Hühner auf dem Hof.'
Diese Folge wird Ihnen von Podbean.com zur Verfügung gestellt.

Der Gevatter Tod

Monday Aug 12, 2024

Monday Aug 12, 2024

Es hatte ein armer Mann zwölf Kinder und mußte Tag und Nacht arbeiten, damit er ihnen nur Brot geben konnte. Als nun das dreizehnte zur Welt kam, wußte er sich in seiner Not nicht zu helfen, lief hinaus auf die große Landstraße und wollte den ersten, der ihm begegnete, zu Gevatter bitten. Der erste, der ihm begegnete, das war der liebe Gott. Der wußte schon, was er auf dem Herzen hatte, und sprach zu ihm: "Armer Mann, du dauerst mich, ich will dein Kind aus der Taufe heben, will für es sorgen und es glücklich machen auf Erden." Der Mann sprach: "Wer bist du?" - "Ich bin der liebe Gott." - "So begehr' ich dich nicht zu Gevatter," sagte der Mann, "du gibst dem Reichen und lässest den Armen hungern." Das sprach der Mann, weil er nicht wußte, wie weislich Gott Reichtum und Armut verteilt. Also wendete er sich von dem Herrn und ging weiter. Da trat der Teufel zu ihm und sprach: "Was suchst du? Willst du mich zum Paten deines Kindes nehmen, so will ich ihm Gold die Hülle und Fülle und alle Lust der Welt dazu geben." Der Mann fragte: "Wer bist du?" - "Ich bin der Teufel." - "So begehr' ich dich nicht zu Gevatter," sprach der Mann, "du betrügst und verführst die Menschen." Er ging weiter; da kam der dürrbeinige Tod auf ihn zugeschritten und sprach: "Nimm mich zu Gevatter." Der Mann fragte: "Wer bist du?" - "Ich bin der Tod, der alle gleichmacht." Da sprach der Mann: "Du bist der Rechte, du holst den Reichen wie den Armen ohne Unterschied, du sollst mein Gevattersmann sein." Der Tod antwortete: "Ich will dein Kind reich und berühmt machen; denn wer mich zum Freunde hat, dem kann's nicht fehlen." Der Mann sprach: "Künftigen Sonntag ist die Taufe, da stelle dich zu rechter Zeit ein." Der Tod erschien, wie er versprochen hatte, und stand ganz ordentlich Gevatter.
Als der Knabe zu Jahren gekommen war, trat zu einer Zeit der Pate ein und hieß ihn mitgehen. Er führte ihn hinaus in den Wald, zeigte ihm ein Kraut, das da wuchs, und sprach: "Jetzt sollst du dein Patengeschenk empfangen. Ich mache dich zu einem berühmten Arzt. Wenn du zu einem Kranken gerufen wirst, so will ich dir jedesmal erscheinen: steh ich zu Häupten des Kranken, so kannst du keck sprechen, du wolltest ihn wieder gesund machen, und gibst du ihm dann von jenem Kraut ein, so wird er genesen; steh ich aber zu Füßen des Kranken, so ist er mein, und du mußt sagen, alle Hilfe sei umsonst und kein Arzt in der Welt könne ihn retten. Aber hüte dich, daß du das Kraut nicht gegen meinen Willen gebrauchst, es könnte dir schlimm ergehen!"
Es dauerte nicht lange, so war der Jüngling der berühmteste Arzt auf der ganzen Welt. "Er braucht nur den Kranken anzusehen, so weiß er schon, wie es steht, ob er wieder gesund wird oder ob er sterben muß," so hieß es von ihm, und weit und breit kamen die Leute herbei, holten ihn zu den Kranken und gaben ihm so viel Gold, daß er bald ein reicher Mann war. Nun trug es sich zu, daß der König erkrankte. Der Arzt ward berufen und sollte sagen, ob Genesung möglich wäre. Wie er aber zu dem Bette trat, so stand der Tod zu den Füßen des Kranken, und da war für ihn kein Kraut mehr gewachsen. "Wenn ich doch einmal den Tod überlisten könnte," dachte der Arzt, "er wird's freilich übelnehmen, aber da ich sein Pate bin, so drückt er wohl ein Auge zu, ich will's wagen." Er fasste also den Kranken und legte ihn verkehrt, so daß der Tod zu Haupten desselben zu stehen kam. Dann gab er ihm von dem Kraute ein, und der König erholte sich und ward wieder gesund. Der Tod aber kam zu dem Arzte, machte ein böses und finsteres Gesicht, drohte mit dem Finger und sagte: "Du hast mich hinter das Licht geführt, diesmal will ich dir's nachsehen, weil du mein Pate bist, aber wagst du das noch einmal, so geht dir's an den Kragen, und ich nehme dich selbst mit fort."
Bald hernach verfiel die Tochter des Königs in eine schwere Krankheit. Sie war sein einziges Kind, er weinte Tag und Nacht, daß ihm die Augen erblindeten, und ließ bekanntmachen, wer sie vom Tode errette, der sollte ihr Gemahl werden und die Krone erben. Der Arzt, als er zu dem Bette der Kranken kam, erblickte den Tod zu ihren Füßen. Er hätte sich der Warnung seines Paten erinnern sollen, aber die große Schönheit der Königstochter und das Glück, ihr Gemahl zu werden, betörten ihn so, daß er alle Gedanken in den Wind schlug. Er sah nicht, daß der Tod ihm zornige Blicke zuwarf, die Hand in die Höhe hob und mit der dürren Faust drohte; er hob die Kranke auf und legte ihr Haupt dahin, wo die Füße gelegen hatten. Dann gab er ihr das Kraut ein, und alsbald regte sich das Leben von neuem.
Der Tod, als er sich zum zweitenmal um sein Eigentum betrogen sah, ging mit langen Schritten auf den Arzt zu und sprach: "Es ist aus mit dir, und die Reihe kommt nun an dich," packte ihn mit seiner eiskalten Hand so hart, daß er nicht widerstehen konnte, und führte ihn in eine unterirdische Höhle. Da sah er, wie tausend und tausend Lichter in unübersehbaren Reihen brannten, einige groß, andere halbgroß, andere klein. Jeden Augenblick verloschen einige, und andere brannten wieder auf, also daß die Flämmchen in beständigem Wechsel zu sein schienen. "Siehst du," sprach der Tod, "das sind die Lebenslichter der Menschen. Die großen gehören Kindern, die halbgroßen Eheleuten in ihren besten Jahren, die kleinen gehören Greisen. Doch auch Kinder und junge Leute haben oft nur ein kleines Lichtchen." - "Zeige mir mein Lebenslicht," sagte der Arzt und meinte, es wäre noch recht groß. Der Tod deutete auf ein kleines Endchen, das eben auszugehen drohte, und sagte: "Siehst du, da ist es." - "Ach, lieber Pate," sagte der erschrockene Arzt, "zündet mir ein neues an, tut mir's zuliebe, damit ich König werde und Gemahl der schönen Königstochter." - "Ich kann nicht," antwortete der Tod, "erst muß eins verlöschen, eh' ein neues anbrennt." - "So setzt das alte auf ein neues, das gleich fortbrennt, wenn jenes zu Ende ist," bat der Arzt. Der Tod stellte sich, als ob er seinen Wunsch erfüllen wollte, langte ein frisches, großes Licht herbei, aber weil er sich rächen wollte, versah er's beim Umstecken absichtlich, und das Stöckchen fiel um und verlosch. Alsbald sank der Arzt zu Boden und war nun selbst in die Hand des Todes geraten.
Diese Folge wird Ihnen von Podbean.com zur Verfügung gestellt.

Frau Trude

Monday Aug 12, 2024

Monday Aug 12, 2024

Es war einmal ein kleines Mädchen, das war eigensinnig und vorwitzig, und wenn ihm seine Eltern etwas sagten, so gehorchte es nicht: wie konnte es dem gut gehen? Eines Tages sagte es zu seinen Eltern: "Ich habe so viel von der Frau Trude gehört, ich will einmal zu ihr hingehen, die Leute sagen, es sehe so wunderlich bei ihr aus, und erzählen, es seien so seltsame Dinge in ihrem Hause, da bin ich ganz neugierig geworden." Die Eltern verboten es ihr streng und sagten: "Die Frau Trude ist eine böse Frau, die gottlose Dinge treibt, und wenn du zu ihr hingehst, so bist du unser Kind nicht mehr." Aber das Mädchen kehrte sich nicht an das Verbot seiner Eltern und ging doch zu der Frau Trude. Und als es zu ihr kam, fragte die Frau Trude: "Warum bist du so bleich?" - "Ach," antwortete es und zitterte am Leibe, "ich habe mich so erschrocken über das, was ich gesehen habe." - "Was hast du gesehen?" - "Ich sah auf Eurer Stiege einen schwarzen Mann." - "Das war ein Köhler." - "Dann sah ich einen grünen Mann." - "Das war ein Jäger." - "Danach sah ich einen blutroten Mann." - "Das war ein Metzger." - "Ach, Frau Trude, mir grauste, ich sah durchs Fenster und sah Euch nicht, wohl aber den Teufel mit feurigem Kopf." - "Oho," sagte sie, "so hast du die Hexe in ihrem rechten Schmuck gesehen: ich habe schon lange auf dich gewartet und nach dir verlangt, du sollst mir leuchten." Da verwandelte sie das Mädchen in einen Holzblock und warf ihn ins Feuer. Und als er in voller Glut war, setzte sie sich daneben, wärmte sich daran und sprach: "Das leuchtet einmal hell!"Diese Folge wird Ihnen von Podbean.com zur Verfügung gestellt.

Der Herr Gevatter

Monday Aug 12, 2024

Monday Aug 12, 2024

Ein armer Mann hatte so viel Kinder, daß er schon alle Welt zu Gevatter gebeten hatte, und als er noch eins bekam, so war niemand mehr übrig, den er bitten konnte. Er wußte nicht, was er anfangen sollte, legte sich in seiner Betrübnis nieder und schlief ein. Da träumte ihm, er sollte vor das Tor gehen und den ersten, der ihm begegnete, zu Gevatter bitten. Als er aufgewacht war, beschloß er dem Traume zu folgen, ging hinaus vor das Tor, und den ersten, der ihm begegnete, bat er zu Gevatter. Der Fremde schenkte ihm ein Gläschen mit Wasser und sagte 'das ist ein wunderbares Wasser, damit kannst du die Kranken gesund machen, du mußt nur sehen, wo der Tod steht. Steht er beim Kopf, so gib dem Kranken von dem Wasser, und er wird gesund werden, steht er aber bei den Füßen, so ist alle Mühe vergebens, er muß sterben.' Der Mann konnte von nun an immer sagen, ob ein Kranker zu retten war oder nicht, ward berühmt durch seine Kunst und verdiente viel Geld. Einmal ward er zu dem Kind des Königs gerufen, und als er eintrat, sah er den Tod bei dem Kopfe stehen und heilte es mit dem Wasser, und so war es auch bei dem zweitenmal, aber das drittemal stand der Tod bei den Füßen, da mußte das Kind sterben.
Der Mann wollte doch einmal seinen Gevatter besuchen und ihm erzählen, wie es mit dem Wasser gegangen war. Als er aber ins Haus kam, war eine so wunderliche Wirtschaft darin. Auf der ersten Treppe zankten sich Schippe und Besen, und schmissen gewaltig aufeinander los. Er fragte sie 'wo wohnt der Herr Gevatter?' Der Besen antwortete 'eine Treppe höher.'
Als er auf die zweite Treppe kam, sah er eine Menge toter Finger liegen. Er fragte 'wo wohnt der Herr Gevatter?, Einer aus den Fingern antwortete 'eine Treppe höher.' Auf der dritten Treppe lag ein Haufen toter Köpfe, die wiesen ihn wieder eine Treppe höher. Auf der vierten Treppe sah er Fische über dem Feuer stehen, die britzelten in der Pfanne, und backten sich selber. Sie sprachen auch 'eine Treppe höher.' Und als er die fünfte hinaufgestiegen war, so kam er vor eine Stube und guckte durch das Schlüsselloch, da sah er den Gevatter, der ein paar lange Hörner hatte. Als er die Türe aufmachte und hineinging, legte sich der Gevatter geschwind aufs Bett und deckte sich zu. Da sprach der Mann 'Herr Gevatter, was ist für eine wunderliche Wirtschaft in Eurem Hause? als ich auf Eure erste Treppe kam, so zankten sich Schippe und Besen miteinander und schlugen gewaltig aufeinander los.' 'Wie seid Ihr so einfältig,' sagte der Gevatter, 'das war der Knecht und die Magd, die sprachen miteinander.' 'Aber auf der zweiten Treppe sah ich tote Finger liegen.' 'Ei, wie seid Ihr albern! das waren Skorzenerwurzeln.' 'Auf der dritten Treppe lag ein Haufen Totenköpfe.' 'Dummer Mann, das waren Krautköpfe.' 'Auf der vierten sah ich Fische in der Pfanne, die britzelten, und backten sich selber.' Wie er das gesagt hatte, kamen die Fische und trugen sich selber auf. 'Und als ich die fünfte Treppe heraufgekommen war, guckte ich durch das Schlüsselloch einer Tür, und da sah ich Euch, Gevatter, und Ihr hattet lange Hörner.' 'Ei, das ist nicht wahr.' Dem Mann wurde angst, und er lief fort, und wer weiß, was ihm der Herr Gevatter sonst angetan hätte.
Diese Folge wird Ihnen von Podbean.com zur Verfügung gestellt.

Copyright 2024 Podbean All rights reserved.

Podcast Powered By Podbean

Version: 20241125